Sachinformationen
Tourismusgeschichte
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Region Bayerischer Wald – Böhmerwald zu einem beliebten Ziel für Stadtbürger. Sie suchten dort Erholung, unberührte Natur oder auch Abenteuer. Oft blieben die Städter für mehrere Wochen an einem Ort, der Sommerfrische genannt wurde. Ihre Lieblingsfreizeitbeschäftigung war das Wandern. Der Bau von Eisenbahnlinien durch den Bayerischen Wald und Böhmerwald (z.B. Schwandorf – Furth im Wald – Pilsen im Jahre 1861 oder Plattling – Eisenstein – Pilsen 1887) förderte den Fremdenverkehr und lockte nun zusätzlich Tagestouristen an. Besonders seit den 1880er Jahren kamen zahlreiche Wander- bzw. Reiseführer auf den Markt, da hauptsächlich Menschen von auswärts die Region bereisten und dafür praktische Tipps benötigten. Die Mehrzahl dieser Bücher war auf Deutsch verfasst. Die tschechischen Reiseführer durch den Böhmerwald waren oft nicht so ausführlich.
In den 1880er Jahren wurden die regionalen Vereine Bayerischer Wald-Verein, Deutscher Böhmerwaldbund, Tschechischer Böhmerwaldbund (Narodní jednota pošumavská) sowie der gesamttschechische Wanderverein Klub tschechischer Touristen (Klubu českých turistů) gegründet. Solche Vereine setzten sich neben der Förderung von Wirtschaft, Landwirtschaft, Infrastruktur, Bildung und Kultur in der Region ebenfalls für verbesserte Bedingungen im Fremdenverkehr ein. Ortsgruppen der Vereine markierten Wanderwege und legten auch neue an. Sie unterstützten den Bau von Berghütten, Übernachtungsmöglichkeiten, Bahnverbindungen oder Straßen, die Herausgabe von Reiseführern und die Verbesserung des kulturellen Angebots für die Besucher und Bewohner des Bayerischen Walds und Böhmerwalds. Doch besonders zwischen dem Deutschen und dem Tschechischen Böhmerwaldbund gab es nationale Konkurrenz. Viele Deutsche und Tschechen im Böhmerwald hatten das Gefühl, dass ihre Nation, ihre Sprache und Kultur jeweils vom anderen bedroht und zurückgedrängt würde. Daher dienten die beiden Böhmerwaldbünde auch dazu, die jeweils eigene Nation und das von ihr bewohnte Gebiet zu fördern und zu stärken.
Der Anstieg des Tourismus im Bayerischen Wald und Böhmerwald spiegelt sich auch in der steigenden Produktion von Ansichtskarten wider. Seit den 1890er Jahren brachten immer mehr Verlage (u.a. auch der Verlag des Deutschen Böhmerwaldbunds) Postkarten mit Ansichten aus der Region heraus, die Sommerfrischler und Tagestouristen als Andenken oder zum Verschicken kauften.
In den 1920er und 1930er Jahren entwickelte sich das Wandern zu einer Art Bekenntnis zur eigenen Nation und zur Heimat. Das Wandern in der Nähe der bayerisch-böhmischen Grenze sollte der jeweils anderen Nation beweisen, dass die eigene Nation wachsam ist, ihr Gebiet, Sprache und Kultur beschützt und man sich von den anderen nicht zurückdrängen lässt. Nach 1938, als die deutschsprachigen Gebiete des Böhmerwaldes an das Deutsche Reich fielen, flohen die meisten Tschechen aus der Region. Nur wenige tschechische Besucher wanderten in dieser Zeit im Böhmerwald. Nach Kriegsende und der Zwangsaussiedung der Deutschen aus der Tschechoslowakei 1945/46 hatten die Deutschen dann keine Möglichkeit mehr, im böhmischen Teil der Region zu wandern. Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs sowie der Grenzzone und dem Grenzsperrgebiet auf der böhmischen Seite hatten auch die Tschechen keinen Zutritt mehr zu vielen ehemals beliebten Wanderzielen im Böhmerwald. Erst nach Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurden erste grenzüberschreitende Wanderwege (wieder-)eröffnet und das Grenzgebiet im Bayerischen Wald und Böhmerwald wurde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Türme und ihr Funktionswandel spiegeln nicht nur konkrete historische Ereignisse wider, sondern auch unsere Beziehung zur Natur. Sie werden zum Symbol für unsere Bemühung sich der Natur anzunähern und sie zu überblicken. Das Erbauen von Aussichtstürmen und der dazugehörigen Infrastruktur stellt zugleich einen Eingriff in die Umwelt dar. Ihre Entstehungsgeschichte ist oft mit der Gründung von Wander- oder Gebirgsvereinen im 19. Jahrhundert verbunden (z.B. Klub českých turistů, Bayerischer Wald-Verein), die nicht selten national ausgerichtet waren. So kann man u.a. an diesem Beispiel nicht nur den Beginn des Tourismus, sondern auch die Anfänge nationalistischer Streitigkeiten verfolgen. Bei einem Treffen mit der Schule aus dem Nachbarland können die Ergebnisse verglichen und unterschiedliche Motivationen zum Bau und die weiteren Entwicklungen und der Funktionswandel beurteilt werden.
Wittinghausen (selten auch Wittingshausen, Wittigshausen, Wittigstein, tschechisch Vítkův Kámen, Vítkův Hrádek) ist die höchstgelegene Burg der Tschechischen Republik. Das Krumauer Adelsgeschlecht der Witigonen gründete sie in der Mitte des 13. Jahrhunderts als Schutzburg an der Landesgrenze zwischen Böhmen und Österreich. Seitdem wechselte die Burg einige Male sowohl ihre Funktion als auch ihren Besitzer. Im Mittelalter war sie eine bedeutende und majestätische Befestigung mit Bergfried und einer mächtigen Wehrmauer. Im 18. Jahrhundert verlor die Burg ihre Bedeutung als Festung und wurde allmählich baufällig. Wegen ihrer romantischen Lage und der schönen Aussicht entwickelte sie sich im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Ausflugsziel und zu einer Inspirationsquelle für Maler und Schriftsteller. In den 1950er Jahren lag Wittinghausen – ebenso wie die meisten Dörfer der Umgebung, deren Bewohner nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesiedelt wurden – in der Sperrzone des Grenzgebiets der Tschechoslowakei. In dieser Zeit betrieb die tschechoslowakische Arme auf dem Bergfried eine Radarstation. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 bekam die Öffentlichkeit wieder Zutritt zu dieser Gegend. Wittinghausen war jedoch in einem beklagenswerten Zustand und der Aufstieg auf den Turm war lebensgefährlich. Seit 1998 kümmert sich der Verein Vítkův Hrádek ehrenamtlich um den Erhalt der Burgruine. Im Jahre 2005 wurde sie wiedereröffnet und der Verein organisiert dort nun Kulturveranstaltungen. Dank der grenznahen Lage stellt die Burg einen guten Treffpunkt für internationale Begegnungen dar. Ihre reiche Geschichte ermöglicht eine Auseinandersetzung mit diversen Themen aus der gemeinsamen Vergangenheit: von mittelalterlichen Handelswegen bis zum Eisernen Vorhang und der EU-Erweiterung. Besonders die Beschäftigung mit Umweltaspekten – wie dem 3 km entfernten Schwarzenberger Schwemmkanal aus dem 19. Jahrhundert, dem in den 1950er Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft der Ruine angelegten Moldaustausee, dem Aufschwung des Fremdenverkehrs oder weiteren Eingriffen in die Landschaft – bietet sich an.