Zeitzeugenberichte
Zdeněk Hromas - Reisen zur Zeit des Sozialismus
"Ich wohne seit Jahren in Železný Brod. Die junge Generation und diejenigen mit kurzem Gedächtnis, möchte ich nun daran erinnern, was alles man vor dem Jahr 1990 unbedingt brauchte, wenn man ab und zu (jedoch ohne Ehefrau und Kinder) seine eigene Schwester besuchen wollte. Sie war legal nach Deutschland ausgewandert und wohnte etwa 100 km westlich von der tschechischen Grenze im ehemaligen Westdeutschland.
Neben dem gültigen Reisepass, dessen Aushändigung mit allerlei unvorstellbaren Obstruktionen verbunden war, brauchte ich unbedingt aus dem Ausland auch eine notariell beglaubigte Einladung zum Besuch. Sie durfte nicht älter als drei Monate sein und meine Schwester musste sich darin verpflichten, alle mit meinem Aufenthalt verbundene Kosten zu tragen. Ich brauchte auch einen gültigen Auszug aus dem Strafregister.
Zugleich war noch die Militärverwaltung im Spiel. Ich brauchte von ihr eine schriftliche Zustimmung mit dem Besuch. Ich musste da mehrmals eine stupide Schulung über Agenten absolvieren. Weitere bedingungslose Notwendigkeit war ein Antrag bei meinem Arbeitgeber und bei den Gewerkschaften, ob sie mit meinem privaten Besuch zustimmten. Meistens haben sie wirklich schriftlich zugestimmt, jedoch war es wieder mit vielen Instruktionen und Gesprächen verbunden.
Aufgrund der notariell beglaubigten Einladung, des gültigen Auszugs aus dem Strafregister, der schriftlichen Zustimmung der Militärverwaltung, des Arbeitgebers und der Gewerkschaften konnte ich einen umfangreichen Antrag auf den Ausreisevermerk in der Bezirksreisepässe- und Visaabteilung stellen. Den Antrag musste ich mehrmals umarbeiten, denn jeder Beamte hatte eine andere Auffassung für Details. Es ist niemals passiert, dass der Beamte selbst in den Antrag etwas ergänzen würde oder dass ich es direkt im Büro korrigieren durfte.
Als der Antrag endlich angenommen wurde, blieb mir nichts anders, als auf die Aushändigung des Ausreisevermerks zu warten, den ich persönlich abholen musste. Mehrmals ist es passiert, dass er aus irgendeinem administrativen Grund nicht rechtzeitig fertig war. Dann musste ich die ganze Prozedur von vorn absolvieren, denn alle die Genehmigungen und Bescheinigungen hatten nur eine bestimmte Gültigkeitsdauer.
Mit dem gültigen Ausreisevermerk musste ich dann nur noch in die Bank gehen, wo ich einen Antrag auf Devisenzuteilung gestellt hatte. Dann konnte ich etwa 25 Mark für die ganze Aufenthaltsdauer kaufen, wofür ich von der Bank eine schriftliche Bescheinigung erhielt, dass ich das Geld ordnungsgemäß erworben habe. Vor jeder Abreise musste ich dann nur noch meinen Soldatenausweis abgeben, wofür ich auch eine schriftliche Bestätigung mit einem runden Stempel erhielt. Das deutsche Visum bekam ich innerhalb von einer Woche nach der Antragstellung. Dann blieb nur, Gebührenmarken einzukaufen, Zoll- und Devisenerklärung auszufüllen und man konnte losfahren.
Allein für die Reise über die Westgrenze brauchte ich also damals unbedingt:
gültigen Reisepass,
gültiges Visum,
gültigen Ausreisevermerk
gültige Bestätigung über die Abgabe des Soldatenausweises,
gültige Bestätigung von der Bank über die Devisenzuteilung,
gültige gestemplte Zoll- und Devisenerklärung,
unglaublich starke Nerven."
Quelle: www.totalita.cz/vzp/vzp_0003.php (Zugriff am 9.4.2010).
Einige der erwähnten Reisedokumente finden Sie bei den Schriftquellen.
Jan M. - Geglückte Flucht nach Bayern
Der 1910 in der Slowakei geborene und zuletzt in Cheb/Eger wohnhafte Jan M. floh 1955 in den Landkreis Tirschenreuth. Die Bayerische Grenzpolizei vernahm ihn am 16. Juni in Waldsassen. Über die Gründe seiner Flucht gab Jan M. folgendes an:
"Ich lehne das derzeitige Regime in der CSR grundsätzlich ab. Deshalb habe ich mich auch bis heute geweigert, mich politisch organisieren zu lassen. Ich hatte deswegen gerade in letzter Zeit Schwierigkeiten mit meinem Betrieb, d.h. ich wurde dauernd aufgefordert, mich endlich organisieren zu lassen. Den Umständen nach musste ich annehmen, dass ich entweder bald meine Stellung bei der Staatsbahn verlieren oder verhaftet würde."
"An sich wollte ich schon 1948 nach Bayern fliehen. Ich dachte mir aber, dass sich das kommunistische Regime doch nicht allzulange halten würde können und verschob deswegen immer wieder meine Flucht.
Am Mittwoch den 15. 6.1955 hatte ich die Sache endgültig satt und fasste den Entschluss, noch an diesem Tage nach Bayern zu fliehen. An diesem Tage in der Frühe um 6h beendete ich meinen Dienst. Von 8-11h besuchte ich eine Betriebsversammlung. Um 16h brach ich von meiner Wohnung auf und lief der Bahnlinie entlang bis kurz vor die Bahnstation Schloppenhof (Slapany). Hier verstecke ich mich in einem Gebüsch, um bis Einbruch der Dunkelheit die Karten zu studieren, die ich bei mir trug. Als ich einige Zeit in der Dunkelheit marschiert war, kam ich an einen Drahtzaun. Ohne Überlegung schmiß ich meinen nassen Mantel über den obersten Draht, der mit Isolatoren befestigt war und griff mit der anderen Hand den Stacheldraht. Als ich über den Mantel griff, bekam ich einen Schlag, der mich leicht betäubte. Ich berichtigte mich insofern, als ich den Schlag nicht am ersten Draht, sondern am mittleren erhalten habe. Der erste und der dritte Draht waren nicht unter Strom gesetzt. Bei der Berührung eines so genannten Stolperdrahtes, löste ich ein Alarmzeichen aus, das aus einem Leuchtzeichen bestand. Da ich wusste, dass ich mich nicht mehr weit von der Grenze befand, lief ich, was ich laufen konnte. Ich erreichte eine Fluß, den ich teils durchwatete, teils durchschwamm, durchquerte dann einen Wald und kam dann bei einer Kapelle auf eine gute Teerstrasse. Nun schlug ich versehentlich die falsche Richtung ein und ging wieder Richtung Grenze, weil ich glaubte, die Strasse führe nach Schirnding. An einer Eisenbahnbrücke in einer kleinen Ortschaft (Hundsbach) nahmen mich dann deutsche Grenzbeamte in Empfang."
Jan M. wurde von der Bayerischen Grenzpolizei außerdem über militärische Einheiten und Anlagen, die politischen Verhältnisse und Lebensverhältnisse in der Tschechoslowakei ausgefragt.
Quelle: BayHStA, Präsidium der Bayerischen Grenzpolizei 1060
František Bísek - Erinnerungen eines tschechischen Grenzpolizisten
Der ehemalige tschechische Grenzpolizist František Bísek berichtet in einem Video-Interview über die Kontakte zu deutschen Polizisten an der deutsch-tschechischen Grenze während des Kalten Krieges um 1974.
Sie finden das Video und weitere Informationen zu František Bísek auf der Homepage des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Fritz Veits - die Grenzsperranlangen an der tschechisch-bayerischen Grenze
Der ehemalige deutsche Grenzpolizist Fritz Veits beschreibt in diesem Zeitzeugen-Interview die Grenzsperranlagen an der tschechisch-bayerischen Grenze während des Kalten Krieges.
Das Video zum Interview sowie weitere Informationen zu Fritz Veits finden Sie auf der Homepage des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Martin Dobeš - Das Leben nach der Flucht
Martin Dobeš, 1962 in Prag geboren, floh 1981 aus der Tschechoslowakei nach Bayern und berichtet in diesem Video-Interview über die ersten Schritte der Integration nach seiner Flucht.
Das Video sowie weitere Informationen zu Martin Dobeš finden Sie auf der Homepage des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Anna Šrotýřová
Anna Šrotýřová wurde 1920 im Böhmerwald geboren. Ihr Ehemann war als illegaler Fluchhelfer tätig und musste schließlich 1948 selbst über die Grenze nach Deutschland fliehen, um nicht verhaftet zu werden. Ein halbes Jahr später folgte sie ihm gemeinsam mit ihren beiden Töchtern.
Ausführliche Informationen (tschechisch und englisch) zu Anna Šrotýřová und ihrer Geschichte finden Sie in Form von Text-, Bild-, Audio-, und Videodateien auf der Homepage der Zeitzeugen-Datenbank „Paměť národa“. Um auf alle Informationen zugreifen zu können, empfiehlt es sich, sich auf der Homepage zu registrieren.
František Zahrádka
Während seines Studiums in Budweis begann František Zahrádka sich am Widerstand gegen das kommunistische Regime zu beteiligen und half unter anderem elf Personen bei ihrer Flucht über die Grenze nach Bayern bevor er 1949 verhaftet wurde. Er musste zunächst zwei Jahre unter schlimmsten Bedingungen im Gefängnis verbringen und wurde anschließend noch fast zehn Jahre lang in verschiedenen Arbeitslagern festgehalten.
Ausführliche Informationen (tschechisch und englisch) zu František Zahrádka und seiner Geschichte finden Sie in Form von Text-, Bild-, Audio-, und Videodateien auf der Homepage der Zeitzeugen-Datenbank „Paměť národa“. Um auf alle Informationen zugreifen zu können, empfiehlt es sich, sich auf der Homepage zu registrieren.
Eduard Hones
Eduard Hones wurde 1937 in eine große Familie von Waldarbeitern deutscher Nationalität in Horská Kvilda, einem kleinen Ort im Böhmerwald nahe der Grenze, geboren. Der Ort war eine kleine deutsche Enklave und mit Ende des Krieges wurde fast die gesamte deutsche Bevölkerung deportiert oder floh nach Deutschland. Die Familie Hones beschloss jedoch zunächst, zu bleiben. Als sie sich später zu einer Ausreise entschied, wurde diese nicht mehr genehmigt, da Waldarbeiter dringend benötigt wurden.
Ausführliche Informationen (tschechisch und englisch) zu Eduard Hones und seiner Geschichte finden Sie in Form von Text-, Bild-, Audio-, und Videodateien auf der Homepage der Zeitzeugen-Datenbank „Paměť národa“. Um auf alle Informationen zugreifen zu können, empfiehlt es sich, sich auf der Homepage zu registrieren.
František Wiendl
František Wiendl war bereits während des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit seinem Vater in einer Widerstandsgruppe gegen die Nationalsozialisten aktiv. Nach dem Krieg schlossen sich beide einer Widerstandsgruppe gegen den Kommunismus an und schleusten unter anderem mehrere Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland. Im Jahr 1949 flog die Gruppe auf und František Wiendl wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt.
Ausführlichere Informationen (tschechisch und englisch) zu František Wiendl und seinen Erlebnissen finden Sie in Form von Text-, Bild-, Audio-, und Videodateien auf der Homepage der Zeitzeugen-Datenbank „Paměť národa“. Um auf alle Informationen zugreifen zu können, empfiehlt es sich, sich auf der Homepage zu registrieren.
Eduard Steun
Eduard Steun wurde 1946 in Nordböhmen geboren. 1949 zog die Familie nach Zlatá Studna in den Böhmerwald, da Steuns Vater dort eine Stelle als Waldarbeiter erhielt. Sie lebten dort unmittelbar im Grenzgebiet, durch das Schmuggler und Flüchtlinge versuchten, nach Bayern zu gelangen. In der Nähe des Dorfes befand sich sowohl ein Militärstandort, als auch eine Station der Grenzwache. Die Familie erhielt damit unfreiwillig Einblick in die Situation an der Grenze, lebte unter strengen Auflagen und regelmäßiger Kontrolle durch die Staatssicherheit.
Ausführlichere Informationen (tschechisch und englisch) zu Eduard Steun und seinen Erlebnissen an der Grenze finden Sie in Form von Text-, Bild-, Audio-, und Videodateien auf der Homepage der Zeitzeugen-Datenbank „Paměť národa“. Um auf alle Informationen zugreifen zu können, empfiehlt es sich, sich auf der Homepage zu registrieren.