Sachinformationen
Die 356 km lange bayerisch-böhmische Grenze stellt aufgrund des Waldgebirges eine der ältesten relativ stabilen Grenzen Europas dar. Dabei war sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine feste Linie, sondern trug den Charakter eines unscharfen Grenzsaumes. Die Herrschaftsbildung und Besiedlung erfolgte von beiden Seiten in das Grenzgebirge des Bayerischen Waldes - Böhmerwaldes hinein.
Die Kontakte zwischen germanisch- und slawischsprachigen Menschen in Mitteleuropa verdeutlicht bereits der Ursprung des deutschen Wortes „Grenze“: Es entstammt dem altpolnischen „granica, grańca“, die verschiedenen mittelhochdeutschen Formen („graniza“, „graenizen“ und „greniz“) finden sich ab dem 12. Jahrhundert vor allem in lateinischen Urkunden, um 1700 hat sich das Wort im gesamten Sprachgebiet durchgesetzt. Auch das tschechische „hranice“ lässt die Verwandtschaft erkennen.
Besiedlung des Waldgebirges
Die Besiedlung des Bayerischen Waldes / Böhmerwaldes war Teil des allgemeineuropäischen hochmittelalterlichen Landesausbaus. Bei diesem Prozess wurden ab dem 11. Jahrhundert unbesiedelte oder dünn besiedelte Gebiete vor allem von deutschsprachigen Bauern, Handwerkern und Kaufleuten kolonisiert. Der Landesausbau verlief größtenteils friedlich und auf Initiative einheimischer Landes- und Grundherren. Neben deutschsprachigen Siedlern waren auch andere Fremde sowie vor allem die einheimische slawische Bevölkerung beteiligt.
Im Bayerischen Wald / Böhmerwald setzte dieser Prozess erst um 1250 ein und verlief in mehreren Phasen. In der ersten Phase ab 1250 wurden die Randgebiete bis 600 Höhenmeter besiedelt, erst ab 1600 das Zentrum des Gebirges auf über 800 Höhenmetern.
Die ersten Ansiedlungen und Zollstellen entstanden entlang der verschiedenen Handelswege. Steige über das Waldgebirge gab es bereits in vorgeschichtlicher Zeit, im Verlaufe des Mittelalters bildeten sich dann einige Hauptrouten heraus. Der Goldene Steig von Passau nach Böhmen ist der bekannteste (unter der Rubrik Goldener Steig auf unserer Homepage erfahren Sie mehr dazu).
Waldrodung, Nutzflächenerschließung und die Einführung neuer Anbauformen initiierten und trugen zumeist Klöster oder adelige Grundherren. Dies waren vor allem die bayerischen Klöster Niederaltaich und Windberg, die südböhmischen Zisterzienserklöster Hohenfurt / Vyšší Brod und Goldenkron / Zlatá Koruna, im südlichen Bayerischen Wald das Bistum Passau, die Grafen von Bogen sowie das südböhmische Adelsgeschlecht der Witigonen. Die Besiedlung erfolgte somit von beiden Seiten in das Gebirge hinein. Höhergelegene Regionen wurden teilweise erst im 18. und 19. Jahrhundert besiedelt, ein Ergebnis des gestiegenen Holzbedarfs. Lokatoren warben im Auftrag der Grundherren Siedler an, die im Bayerischen Wald / Böhmerwald zumeist aus den benachbarten Regionen Franken, Niederbayern und Oberpfalz stammten.
Grenzfestlegungen und Verträge
Mit fortschreitender Besiedlung kam es jedoch auch zu Auseinandersetzungen zwischen den sich überlagernden Herrschaftsgebieten des Adels und der Klöster über die Abgrenzung des Grenzsaumes. Je dichter der Wald besiedelt wurde, desto notwendiger wurden Regelungen über herrschaftliche Zugehörigkeiten. Abgrenzungen wurden dabei durch naturräumliche Gegebenheiten wie Bergrücken, Wasserläufe oder Quellen definiert. So ist auch die heutige Grenze auf 105 km von insgesamt 356 km eine „nasse Grenze“. Als Markierungen dienten Felsen, Bäume oder Gräben, die jedoch ebenso strittig und umkämpft waren.
Eine scharfe Grenzlinie wurde erst allmählich auf Grundlage von Vermessungen und Markierungsarbeiten definiert und in Verträgen festgehalten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts hatte es zahlreiche territoriale Auseinandersetzungen zwischen Bayern und Österreich entlang der bayerisch-böhmischen Grenze gegeben. Diese wurden in einem Vertrag zwischen Kaiserin Maria Theresia von Österreich und Kurfürst Maximilian II. Josef von Bayern am 3. März 1764 beigelegt und der Grenzverlauf bestimmt. Der südliche Bayerische Wald / Böhmerwald gehörte bis 1803 zum Hochstift Passau, so dass hier der Grenzvertrag von 1766 zwischen Reichsfürst Leopold Ernst Bischof zu Passau und dem böhmischen Fürsten Josef zu Schwarzenberg von Bedeutung ist. Nach der Säkularisierung und der Eingliederung des weltlichen Besitzes des Bistums Passau in das Herzogtum Bayern 1803 (ab 1805 Königreich) wurde 1862 ein weiterer Grenzvertrag zwischen den Königreichen Bayern und Böhmen geschlossen. Die genannten Verträge erfuhren später lediglich geringfügige Veränderungen und markierten somit weitgehend den heute noch bestehenden Grenzverlauf.
Die Verträge des 18. Jahrhunderts brachten zudem die systematische und flächendeckende Setzung von Grenzsteinen mit sich: Die Markierungsarbeiten dauerten mehrere Jahre und die Steine tragen somit Jahreszahlen aus den 1760er und 1770er Jahren. Eine zweite Welle von Grenzsteinsetzungen gab es im Vorlauf der Verhandlungen über den Grenzvertrag von 1862. Somit kann man entlang der Grenze noch heute Grenzsteine mit Jahreszahlen aus dem 18. und 19. Jahrhundert finden.
Sprachgrenze
Die politische Grenzlinie des 18. Jahrhunderts und die damit vollzogene Abgrenzung bezog sich jedoch zunächst nur auf die Ebene der Landesherrschaft. Im Heiligen Römischen Reich mit seinen vielfältigen Autoritäten und Rechtsordnungen überlappten sich unterschiedliche Herrschaftsräume und damit Grenzen. In diesem Reich waren auch Bayern und Böhmen (als Teil Österreich-Ungarns) bis 1806 verbunden. Die Alltagswelt der Bauern wurde weniger von der landesherrlichen als vielmehr von der feudal-ständischen Ordnung dominiert. Die Grenzen der adeligen und klösterlichen Besitzungen stimmten dabei nicht mit den Grenzen der Landesherrschaft überein.
Zudem entsprach im Bayerischen Wald / Böhmerwald die politische Grenze zwischen dem Hochstift Passau und dem Habsburgerreich nicht der Sprachgrenze zwischen dem deutschen und dem tschechischen Siedlungsgebiet. Diese verlief aufgrund des hochmittelalterlichen Landesausbaus weiter östlich als die politische Grenze. Doch auch diese sprachliche Grenze trennte die Bevölkerungsgruppen nicht notwendigerweise voneinander: Die Zugehörigkeit zum Königreich Böhmen verband die deutsch- und tschechischsprachigen Bewohner des Böhmerwaldes. Der Landespatriotismus konnte für die Menschen ebenso bedeutsam sein wie die Zugehörigkeit zur deutschen und tschechischen Sprachgruppe.
Die beiden Sprachen wirkten erst mit den einsetzenden Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert abgrenzend. Nationale Identitäten traten in Konkurrenz zum übergreifenden Landespatriotismus. Hinzu kam das Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806, was den Beginn der politischen Abgrenzung Bayerns und Böhmens bedeutete. Diese verstärkte sich durch den Beitritt Bayerns zum deutschen Zollverein 1834 und die Gründung des Deutschen Reiches 1871. Bayern und Böhmen waren füreinander Ausland geworden.
Alltägliche Grenzüberschreitungen
Auf der Ebene des gesellschaftlichen Kontaktes blieb jedoch die politische Grenze noch einige Jahrzehnte eine „weiche Grenze“. So wie der böhmische Landespatriotismus und die Nachbarschaft die deutsch- und tschechischsprachigen Böhmerwäldler verband, so war wiederum die Bevölkerung auf beiden Seiten der bayerisch-böhmischen Grenze durch gemeinsame Sprache, Kultur, Wirtschaft und auch die Ähnlichkeit der Landschaft und Besiedlung verbunden. Familiäre Beziehungen über die Grenze waren selbstverständlich, es herrschte ein reger Handel und viele Menschen überquerten die Grenze als Arbeits- und Einkaufspendler.
Ein Bestandteil dieses Alltagsverkehrs war auch ein reger Schmuggel über die Grenze. Hierzu trugen das Steuergefälle und eine unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung bei. „Paschen“ oder „Schwirzen“ sind die dialektalen Ausdrücke für den Schmuggel. Vieh war dabei das Hauptgut, vor allem böhmische Ochsen wurden nach Bayern geschmuggelt. Bereits im 18. Jahrhundert verbot die bayerische Regierung die Einfuhr; zwischen den Grenzübertrittsstellen überwachten Finanzbeamte die Grenze. Erst die Errichtung des Eisernen Vorhanges entlang der Grenze beendete das Schwirzen. Der Schmuggel existiert weiterhin (nicht nur) in Legenden und Geschichten, in denen der Schwirzer als sympathische Figur gilt, der geschickt den Grenzern entkommt. Das Sprichwort „Die Grenze nährt“ verdeutlicht die Bedeutung dieses Alltagsverkehrs für die Menschen.
Verhärtung der Grenze im 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert wurde die Grenze und das böhmische Grenzgebiet wiederum mehrfach Gegenstand von Konflikten, die sich auch an der Frage nach der nationalen Identität der Bevölkerung und ihrer politischen Loyalität endzündeten. (Wie die Grenze im 20. Jahrhundert von Deutschen und Tschechen als jeweils eigener „nationaler Besitz“ in Anspruch genommen wurde, lesen Sie detailliert in einem Aufsatz von Dr. Christiane Brenner.)
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Gründung der Tschechoslowakei 1918 wurde die alte Grenze von 1914 beibehalten, die Grenze jedoch von bayerischer Seite stärker befestigt. Es wurden 11 Straßen- und 5 Eisenbahnübergänge eingerichtet; zur Überquerung der grünen Grenze dienten Grenzscheine und –ausweise. Obwohl stärker befestigt und kontrolliert, war auch in der Zwischenkriegszeit die Grenze sehr durchlässig; familiäre und wirtschaftliche Kontakte bestanden weiterhin. Die Durchlässigkeit der Grenze wurde zudem von bayerischer Seite durch eine Unterstützung der deutschsprachigen Böhmen bewusst aufrechterhalten. Dies ging einher mit einer nationalistischen Inanspruchnahme dieses Gebietes und der Betonung ihres „deutschen Charakters“. Der politische Anspruch kulminierte in dem Abschluss des Münchener Abkommens 1938: Der Böhmerwald wurde als deutsch besiedeltes Gebiet an das Deutsche Reich angeschlossen: Die Kreise Bergreichenstein, Markt Eisenstein und Prachatitz gehörten bis 1945 zu Niederbayern bzw. zur Oberpfalz.
In der Konferenz von Potsdam 1945 wurde die Grenze von 1937 wiederhergestellt. Den persönlichen, grenzüberschreitenden Kontakten setzten Flucht, Vertreibung und Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Ende. Seitdem entspricht die politische Grenze auch der sprachlichen. Diese nun „harte“ Grenze wurde unter den Vorzeichen des Kalten Krieges befestigt und beinahe undurchdringbar gemacht. Ab 1951 errichtete die Tschechoslowakei Grenzsperranlagen: aus einem etwa zwei Kilometer breiten Sperrbezirk wurde die Bevölkerung ausgesiedelt, die Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht. Daran schloss eine zwei bis sechs Kilometer breite Grenzzone an, zu der der Zutritt nur mit Sondergenehmigung gewährt war. Insgesamt lagen etwa zwei Drittel des Böhmerwaldes in diesen beiden Zonen. (Weitere Informationen zur Grenze im Kalten Kriege finden Sie unter der Rubrik „Eiserner Vorhang“ auf unserer Homepage). Erst im „Deutsch-Tschechoslowakischen Vertrag“ 1973 wurde die Nichtigkeit des Münchener Abkommens erklärt und die Achtung der Unverletzlichkeit der Grenzen vereinbart.
Öffnung
Im Zuge der Umwälzungen in Ostmitteleuropa 1989 wurde am 3. November 1989 die tschechoslowakische Grenze für DDR-Bürger geöffnet: Bis Jahresende gelangten so etwa 63.000 Flüchtlinge aus der DDR über die bayerisch-böhmische Grenze. Am 23. Dezember 1989 durchschnitten die Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Jiří Dienstbier den Grenzsperrzaun am Übergang Waidhaus-Rozvadov. Bis Ende Mai 1990 wurden die Anlagen weitestgehend abgebaut. Ab 1. Juli 1990 war der visumsfreie Verkehr zwischen Böhmen und Bayern möglich und die ersten Fußgängergrenzübergänge wurden geöffnet. Am 3. November 1994 folgte der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gemeinsame Staatsgrenze“. Seit dem 21. Dezember 2007 entfallen im Rahmen des Schengener Abkommens jegliche Grenzkontrollen.