Lager Furth im Wald
Insgesamt durchliefen 1.183.370 Menschen die zeitweise sechs Grenzdurchgangslager in Bayern. Mehr als die Hälfte davon, genau 618.961 Deutsche aus der Tschechoslowakei mussten durch das Lager Furth i. Wald. Die Grenzdurchgangslager sollten ursprünglich nur für die Erstaufnahme in Bayern dienen. 1945 wurden hierbei bis zu 2.000 Personen im Grenzdurchgangslager Furth i. Wald aufgenommen bzw. erstversorgt, 1946 bis zu 6.000 Personen. In vielen Fällen wurde Furth jedoch zur Unterkunft für viele Jahre. Die vor dem Krieg 6.000 Personen umfassende Stadt hatte nach Kriegsende 11.000 Einwohner, darunter viele Vertriebene.
Bis in die 50er Jahre kamen insgesamt 47 Transporte in das 40 Baracken umfassende Grenzdurchgangslager Furth i. Wald. Bis zu sechzig Personen wurden in einem Raum einer solchen Baracke untergebracht.
Bericht der Zeitzeugin Jutta Hauser (aus Furth, damals 20 Jahre, ihre Eltern besaßen eine Gaststätte, die von März 1945 bis in den Sommer 1947 mit Flüchtlingen belegt war):
"Der etwa 100 qm große Saal der elterlichen Gastwirtschaft war anfangs mit ca. 100 Personen, meist Frauen, Kinder und alten Leuten belegt. Der Saal war lediglich mit Stroh aufgeschüttet worden. Matratzen oder gar Bettgestelle waren nicht vorhanden. So suchten sich die Familien jeweils einen kleinen Fleck, wo sie die wenigen geretteten Habseligkeiten aufstellten und sich zum Schlafen niederlegten. Die sanitären Verhältnisse waren mehr als mangelhaft, da den Leuten nur zwei Toiletten zur Verfügung standen, welche aufgrund der starken Beanspruchung oft verstopft waren. Verpflegt wurden die Leute in den ersten Monaten vom Further Lazarett aus, nach dem Kriegsende dann von der UNRRA-Küche im Further Zollhaus. Da anfangs keine Herde oder Öfen aufzutreiben waren, hatten die Flüchtlinge keine Möglichkeit, sich selbst etwas zu kochen oder den Saal ausreichend zu beheizen.“
(Bem. UNRRA: United Nations Relief and Rehabilitation Administration)
Quelle: Maier, Susanne: „Grenzdurchgangslager Furth im Wald 1946-57“, Verlag Erns Vögel, Stamsried 1999, S. 26.
Ablauf der Durchschleusung
Die Kapazität des Lagers belief sich auf 1.200 Flüchtlinge (Angabe 1946, später belief sie sich auf 1.600). Pro Person standen rund 2,5qm zur Verfügung. Aufgabe der Flüchtlingslager war die Durchschleusung der Flüchtlingstransporte. Aufnahme, Betreuung, Registrierung und Weiterleitung der Flüchtlinge.
Genauer: Nachdem der Zug eingerollt war, wurden die Ankommenden über die Lautsprecher begrüßt und zum Aussteigen aufgefordert. Es folgte die Entlausung, ärztliche Untersuchung und Registrierung, die Möglichkeit, die Waschräume zu besuchen, um sich den Schmutz der Fahrt abzuwaschen. Anschließend Verpflegung. Es war vorgesehen, nur die Kranken und nicht mehr Transportfähigen mit ihren Familien im Lager zu behalten. Viele Flüchtlinge blieben aber mehrere Jahre.
Nach der Potsdamer Konferenz traf der erste der organisierten Flüchtlingstransporte in Furth ein. Am 25. Januar 1946 kamen 1.205 Personen aus České Budějovice/Budweis im Lager an. Hinzu kamen noch illegale Grenzgänger, die nicht mit den organisierten Transporten kamen, und Einzelreisende, unter ihnen viele Gegner des Naziregimes, die häufig ihr Hab und Gut mitnehmen durften.
Im September 1946 eskalierte die Situation im Flüchtlingslager Furth i. Wald. Die Militärregierung beschrieb die Lage am 11. September 1946 folgendermaßen:
„Die normale Bevölkerungszahl von 6.000 Einwohnern ist auf beinahe 11.000 Menschen angeschwollen. Die Gebäude sind meistens sehr alt und mit äußerst beschränkten sanitären Einrichtungen versehen. Diese Grenzstadt wimmelt bildlich gesprochen von Menschen aus ganz Deutschland, welche Nachrichten über ausgewiesene Sudetendeutsche einholen wollen. Das Wasserleitsystem ist nicht hinreichend, um die Stadt zu versorgen und obwohl jede Nacht die Zuleitung gesperrt wird, ist trotz dieser Vorbeugungsmaßnahme nicht der nötige Druck vorhanden, um irgendeinen Schutz bei Feuergefahr zu gewähren.“
Die Militärregierung befahl die Sperrung der Stadt Furth i. Wald.
„Der obige Befehl wird gegeben, da angenommen wird, dass die fortgesetzte Üerbevölkerung dieser Städte eine unmittelbare Gefahr in gesundheitlicher Hinsicht darstellt, sowie eine weitere Bedrohung der öffentlichen Sicherheit.“
Im Jahr 1947 entspannte sich die Flüchtlingslage ein wenig. Es kamen nur noch 14.000 Personen in organisierten Transporten in Bayern an. Allerdings gelangten weitere 114.000 Kriegsgefangene und illegale Grenzgänger nach Bayern.
1948 kam es im Zuge der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei zu einer erneuten Fluchtwelle, im Zuge derer auch diejenigen Deutschen, die als „Anti-Faschisten“ eingestuft wurden, das Land verließen. Gleichzeitig flohen Tschechen vor dem neuen Regime in ihrem Land. Im Grenzdurchgangslager Furth wurden 1948 insgesamt 4.000 Personen untergebracht, d.h. zum Teil herrschte eine hundertprozentige Überbelegung.
Der Staatssekretär für das Flüchtlingswesen Wolfgang Jaenicke beschreibt am 22. September 1948 in einer Ansprache zum Bericht der Staatsregierung über aktuelle Flüchtlingsfragen die Lage der Flüchtlinge in Bayern und auch im Lager in Furth i. Wald. Er vergleicht Bevölkerungszunahme und Wohndichte in Bayern mit denen in den Bundesländern Hessen und Baden-Württemberg und spricht von einer "Überbelegung Bayerns".
1949 passierten nur noch 3.575 illegale Grenzgänger die Grenze. Diese konnte nur noch mit Mühe überschritten werden, wie dieser Bericht verdeutlicht:
„Eine reichsdeutsche Familie (Mann, Frau und zwei kleine Kinder) kam am 11.9.1949 mit einem Güterzug von Ratibor/Polen über die Tschechoslowakei nach Furth i. Wald. Sie hatte sich in einer Kohle-Elektronen-Ladung einen etwa 60cm hohen Leerraum gelassen und in diesem 4 Tage lang die überfahrt liegend hinter sich gebracht. Nachdem die Ladung ja nur Kohle-Elektronen beinhalten sollte, hatte der Mann unter Berücksichtigung des Gewichtes wie des Laderaumes ganz genau ausgerechnet, wie viel Gepäck er noch mitnehmen konnte.“
Quelle: Stadtarchiv Furth i. Wald, Fach 177 Akt 002/00: Leben an der Grenze: „Sechs Beispiele für illegale Grenzübertritte“ (6. Juli 1953).
1950 lief die letzte größere Aussiedlungsaktion an. Im Zuge dieser verließen 20.000 Deutsche die Tschechoslowakei. Das Lager Furth wurde wieder zum Durchgangslager. 13.297 dieser Personen kamen nach Furth. Im Jahr 1952 wurde Furth noch einmal Flüchtlingslager: Bis Mai 1953 durchliefen 1.030 Personen aus der DDR das bayerische Grenzlandlager.
Gedenkstätten
An folgenden Orten wird in Furth i. Wald an Flucht und Zwangsaussiedlung erinnert:
• ein 1952 gestiftetes Vertriebenenkreuz auf dem Friedhof von Furth im Wald
• der 1969 gestiftete Vertriebenenaltar und die 1971 gestiftete Orgel in der Further Kreuzkirche sowie
• das 1979 gestiftete Glockenspiel am Amtsgericht in Furth in Wald. Es wurde gestiftet mit dem Wunsch, dass täglich zunächst das Lied "Dort tief drin im Böhmerwald", dann ein bis zwei weitere Lieder aus dem Egerland bzw. Böhmerwald sowie abschließend ein deutsches Volkslied erklingen. Seit über 26 Jahren ertönen diese Lieder täglich um 11 und 18 Uhr.
• der 1983 gestiftete Further Meilenstein. Dies ist ein Denkmal, das an der Straßenbrücke über die Eisenbahnlinie Furth im Wald - Taus errichtet wurde. Der Meilenstein symbolisiert einerseits die Erinnerung und den Wegweiser in das Herkunftsgebiet, andererseits die Erinnerung daran, dass auf der Eisenbahnlinie, die unter dieser Brücke verläuft, fast eine dreiviertel Millionen heimatvertriebener Menschen in eine ungewisse Zukunft und unbekannte neue Heimat fahren mussten.
• Seit 1957 hat die Stadt Furth i. Wald die Patenschaft für die Sudetendeutschen des Kreises Horšovský Tyn/Bischofteinitz übernommen. Das 1973 erstmals eingerichtete Heimatkreismuseum Bischofteinitz wurde 1975 erweitert und in den Jahren 1978 bis 1981 während einer grundlegenden Gebäuderenovierung in das Landestormuseum Furth i. Wald integriert.