Sammellager
In der Tschechoslowakei wurden nach dem Krieg insgesamt 107 so genannte Sammellager errichtet, die nach den Leitsätzen zur Durchführung der Aussiedlung der Deutschen zum „stufenweisen und reibungslosen Sammeln der Personen, die zum Abschub vorgesehen sind“ dienen sollten. In der Praxis hieß das, dass Personen, die einen Aufruf zur Aussiedlung erhielten, erst in diese Sammellager gebracht wurden, wo sie ein paar Tage, maximal zwei Wochen, auf den eigentlichen Transport nach Deutschland warteten. Die Kapazität dieser Sammellager sollte der Anzahl der Personen für einen Transport entsprechen, was ungefähr 1200 Menschen waren.
Im Kreis Prachatitz/Prachatice entstanden schrittweise drei Sammellager: in Prachatitz/Prachatice, Wallern/Volary und Winterberg/Vimperk.
Das Sammellager in Prachatitz (Prachatice)
Das Sammellager in Prachatitz (Prachatice) war bereits ab dem Jahr 1945 in Betrieb, als dort deutsche Flüchtlinge aus dem Osten gesammelt wurden. Seit Ende Februar 1946 diente das Lager zum Sammeln der Deutschen aus dem Kreis Prachatice, die zur Aussiedlung bestimmt waren. Das Lager war zugleich ein Internierungslager. Am Ende des Jahres 1946 waren dort 50 – 130 Deutsche inhaftiert, die nach den Retributionsdekreten angeklagt waren.
Die Grundlage des Lagers waren die örtlichen Kasernen, die im Jahr 1941 von der deutschen Militärverwaltung errichtet worden waren. Die Kapazität des Lagers lag bei 1.600, in Ausnahmefällen bis zu 2.000 Personen. Im Frühling 1946 gehörte das Prachtitzer Lager zu den größten in Tschechien. In elf Transporten wurden insgesamt 13.440 Personen aus Tschechien ausgesiedelt.
Unter der Leitung des Lagerleiters Josef Vaněk arbeiteten zwei Ärzte und zwei Krankenschwestern aus den Reihen der deutschen Flüchtlinge. Die Lagertätigkeit wurde zum 16.08.1946 beendet, als das Barackenlager der militärischen Verwaltung übergeben wurde.
Bei den nebenstehenden Dokumenten handelt es sich um eine deutschsprachige Auflistung der im Lager befindlichen Personen vom Juni 1946 sowie um den Lagerplan (Übersetzung ins Deutsche).
Gretl Wimbersky
Quelle: Grenzstadt Prachatitz in Böhmerwald, Heimatkreis Prachatitz 1986, S. 99 – 104.
Ein Aufforderungsschein kam ins Haus, er besagte, dass wir uns (oft binnen zwei Stunden und auch, wenn die Leute gerade in der Kirche oder sonst wo waren) fertig machen mussten für den Abtransport. Von zwei, mit aufgepflanztem Bajonett bewaffneten Polizisten beobachtet, sollten wir einpacken, etwa 50 kg und nichts Wertvolles, Gutes. Was das war, bestimmten diese Aufpasser. In der Wohnung wurde mir da schon manches genommen, aus dem Koffer geschmissen. Hinter uns wurde die Türe versiegelt. Der Vater meiner Schwägerin ließ symbolisch für uns alle Gezeichnete als letzte Tat in seinem Heim den Perpendikel der Wanduhr stillstehen … Meine Mutter wollte noch mal an den Weihwasserkessel, um mir zum Ausgang die Stirn zu besprengen, man schob sie höhnisch weg - sie wollte noch mal Abschied nehmen vom Geschäft, durch Laden und Werkstatt gehen, man stieß die weinende Frau zum Tor hinaus. - Hinter dem Leiterwagen gingen wir schluchzend durchs geliebte Heimatstädtchen, hinauf zur Kaserne, dem Lager der Deutschen.
Dort wurde noch mal kontrolliert, gefilzt. Erschütternde Szenen spielten sich (besonders bei der Leibesvisitation) ab; auf Fotos, Geld, Sparbücher, Dokumente, auf alles, was deutsch geschrieben war oder etwas Wert hatte und was mancher doch noch retten wollte, waren sie besonders scharf. Mit der zerwühlten Habe mussten wir uns dann aufs dürftige Strohlager begeben. Wir Jüngeren wurden aufgefordert, noch mal die gelbe Armbinde umzutun und mussten dann beim Kasernentor die neu Ankommenden erwarten, ihr Gepäck abladen, in den Kontrollraum und zum Asyl schleppen. Koffer, Kisten, Säcke, Taschen, Binkel, die letzte Habe der Armen, wurden oft brutal auseinandergerissen. Ich versuchte mutig so manchem Landsmann zu helfen, habe heimlich gefragt: "Hobns wos zan verstecka?" Man händigte mir ängstlich Dinge aus, die dem einen oder anderen eben am Herz lagen, an denen mancher besonders hing, und ich lief mit Herzklopfen hoch zu unserem Notlager und verbuddelte die Sachen dort, und wenn es dunkel und ruhig war, gab ich sie vertraulich den dankbaren Menschen wieder. Irgendwie hatte mancher doch noch etwas, das ihm lieb war, vor den Kontrollen vorher gerettet - Urkunden, Aufzeichnungen, ein Sparbuch, ein Hochzeitsbild oder das vom gefallenen Sohn. . . Ein alter Herr kramte zitternd im "Schößlfrack" und holte drei Goldstücke heraus, ein anderer eine kostbare Taschenuhr, eine prächtige Pfeife ... ein Mütterlein vertraute mir einen teuren Rosenkranz an, eine Nachbarin eine Reliquie und ein Amulett. Aber die kleine Hilfe war nur ein Tropfen auf den heißen Stein, das Beste wurde konfisziert, blieb daheim oder wurde uns entrissen.
Mathilde Kreitmaier geb. Thuma
In: Kieweg, Herbert, Weasch’n, Wusch’n und Gulatsch’n. Die Pfarrei Sablat in Geschichte und Geschichten, 1994.
Im Frühjahr 1946 mussten wir unsere geliebte Heimat verlassen, die unsere Ahnen unter großen Mühen und Entbehrungen der Wildnis einst abgerungen hatten. Innerhalbweniger Stunden mussten wir unser Haus- und unser Hab und Gut zurücklassen. Nur das Notwendigste durften wir in das Sammellager nach Prachtitz mitnehmen. Jeder Person war es lediglich gestattet, Gepäck bis zu einem Gesamtgewicht von 50 kg mitzunehmen, so insbesondere ein Federbett, warme Kleidung, Schuhe, Blechgeschirr und einige Nahrungsmittel. Schmuck und wertvolle Gegenstände wurden - soweit sie uns nicht schon bei den Plünderungen unmittelbar nach Kriegsende abgenommen worden waren - von den Tschechen im Lager in Prachatitz beschlagnahmt. Zwischen dem 7. und 13.6. 1946 wurden fast alle Deutschen der Gemeinde Wolletschlag in dieses Lager gebracht. Die arbeitsfähigen Jugendlichen und Erwachsenen wurden tagsüber in Prachatitz zu Reinigungsarbeiten herangezogen. Am 17.6. 1946 schlug dann endgültig die Stunde des Abschiedes. In etwa 40 Viehwaggons wurden die im Lager zusammengepferchten Deutschen in einem Sammeltransport mit der Eisenbahn aus ihrer Heimat abtransportiert.
Ida Sitter: "Ausflug" aus dem Lager in Prachatitz
Quelle: Die Schneedörfer und Orte der Umgebung in Böhmerwald, Augsburg 1988, S. 314.
Wir wurden am Pfingstdienstag 1946 ins Lager gebracht. Bei der Durchsuchung fanden sie bei meinem Vater selbst angebauten Tabak. Natürlich wurde ihm dieser weggenommen. Meinen Vater kränkte dies sehr. Als der Transport zusammengestellt war konnten wir nicht mitkommen, da von meiner Schwester Marie das Kind schwer erkrankt war. Ich musste im Lager in der Küche mithelfen. Ein Onkel aus Wossek brachte uns etwas Essbares ins Lager, musste es aber beim Tor abgeben. So waren wir eigentlich so halbwegs versorgt, nur Vater jammerte täglich um seinen geliebten Tabak. Weil ich ihn nicht mehr länger leiden sehen konnte, kam mir der Einfall, vielleicht kann ich noch mal nach Hause gehen. Zu den Soldaten, die den Eingang des Lagers bewachten sagte ich dann, ob ich nicht zu meinen Onkel nach Wossek gehen könnte, um ihm Heueinfahren zu helfen. Zur Antwort bekam ich dann nur, was ich ihnen für diesen Freigang mitbringen würde.
Da ich auf diese Frage nicht gefasst war, fiel mir in der Aufregung nur ein "Honig". Sie sagten mir zu, aber mit der Auflage: "Den anderen Tag um 7.00 Uhr kannst du gehen und um 17.30 hast du wieder hier zu sein, sonst kommst du nicht mehr herein". Pünktlich um 7.00 Uhr verließ ich dann am anderen Tag das Lager und ging zu Fuß von Prachatitz bis Oberschneedorf. Ich musste auf Feld- und Schleichwegen gehen, um nicht erwischt zu werden, um 10.00 Uhr kam ich bei "Eduardn Wenzl" an. Ich wusste, dass die noch daheim waren und mein einziger Gedanke auf den Weg dorthin war, hoffentlich haben die Honig. Gottseidank wurde ich nicht enttäuscht. Ich ging dann weiter zu meinem Elternhaus und suchte als erstes den Stoff, den wir noch vor dem Abtransport versteckt hatten. Nun wickelte ich mir den Stoff um meinen Körper und steckte immer die selbst angebauten Tabakblätter dazwischen. Zog meine Kleider wieder darüber und schon war der Tabak verstaut. Zum Glück hatte mich dabei niemand beobachtet. Ich nahm dann noch eine große Kanne mit und ging nach Schönau weiter. Dort war noch meine Schwester Lorie. Die war ganz schön erstaunt, als ich bei ihr ganz erschöpft ankam und packte mir schnell in einen Rucksack 2 Laib Brot ein und etliche Flaschen mit Milch für die kranke Nichte. Die Nachbarin gab mir auch noch einen Laib Brot und so eilte ich schwer aufgepackt wieder zu Eduard Wenzl zurück. Die hatten in der Zwischenzeit Butter gerührt. Die Butter gaben wir in die große Kanne und gossen Buttermilch darüber, damit die Butter niemand bemerkte. Nun hatte ich auch noch die Kanne zu schleppen. Nun stieg schon das Angstgefühl in mir hoch, nicht pünktlich das Lager zu erreichen. Man begleitete mich noch ein Stück und dann marschierte ich alleine weiter. Als ich in Schweinetschlag ankam, war ich schon dem Umfallen nahe. Doch die Angst, ich könnte mich verspäten, trieb mich immer weiter. Die Schuhe hatten meine Füße schon aufgewetzt, so ging ich das letzte Stück barfuss. Weinend quälte ich mich weiter, denn durch das Barfussgehen war bald die ganze Fußsohle aufgerissen. Pünktlich um 17.30 Uhr kam ich dann beim Lager an und die Soldaten zeigten lachend auf meine blutenden Beine. Das einzigste nach was sie mich fragten war, ob ich auch den versprochenen Honig nicht vergessen hätte. Ohne lange zu warten, nahmen sie mir einfach meinen Rucksack ab, nahmen sich den Honig heraus und die anderen Sachen ließen sie mir freundlicherweise. Am anderen Tag konnte ich nicht einmal meinen Küchendienst im Lager versehen, da ich mich vor Schmerzen nicht bewegen konnte.
Justine Haselsteiner
Quelle: Sudetendeutsches Archiv, München
Während der 11 Tage im Lager gab es früh und abends schwarzen Kaffee mit Brot. Mittags täglich Kartoffelsuppe mit Brot. Einige hatten das Glück, dass Verwandte Gebäck brachten und ihnen durch den Stacheldraht zusteckten. Dies war aber nur möglich, wenn sie der Wächter mit der Hundepeitsche nicht sah und verjagte.
Das Sammellager in Wallern (Volary)
Das Sammellager in Wallern (Volary) wurde im Barackenlager des RAD (Reichsarbeitsdienst) errichtet, das etwa einen Kilometer nördlich der Stadt im Jahr 1942 gebaut worden war. Dort befanden sich zehn Baracken und ihre Kapazität betrug bis zu 800 Personen. Bis zu ihrem Abzug waren hier amerikanische Garnisonen untergebracht und zeitweise auch Flüchtlinge. Leiter war seit 1.10.1945 Vojtěch Riss, der im Mai 1945 um seine Abberufung bat. In dem nebenstehenden Dokument begründet er diesen Schritt und gibt damit einen Einblick in den Alltag im Lager (deutsche Übersetzung des Antrages). Seit 28.5.1946 war der Wachtmeister der Polizei SNB Zdeněk Šmíd Lagerleiter. Im Lager arbeiteten auch zwei Ärzte (Pimmer und Irro) und ein bis zwei Krankenschwestern. Das administrative und Hilfspersonal bildeten zehn Flüchtlinge. Die Lagertätigkeit endete erst am 16.12.1946, weil es nötig war, mindestens ein Lager im Kreis für die restlichen Deutschen (zum Beispiel entlassene Häftlinge oder zusammengeführte Familien) in Betrieb zu halten.
Auguste Eppinger-Unterrainer
Quelle: Die Schneedörfer und Orte der Umgebung in Böhmerwald, Augsburg 1988, S. 316.
Nachdem in Oberschneedorf und Neuhäuser das Getreide abgeerntet und gedroschen war, haben wir die Karte mit der Aufforderung zur Ausweisung bekommen. Eine Woche hatten wir Zeit zum Packen. Am 6. September 1946 sind wir mit den Familien Pechmann ("Kasperl"), Jungbauer ("Großkopf"), Mickschl ("Mikschlschuaster"), Penterling ("Peterl") und einer weitere Familie von Tschechen, die als Kolchosenleiter hier eingesetzt waren, in das männliche Arbeitslager nach Wallern gebracht worden. Drei Familien sind noch in Neuhäuser geblieben. Im Lager hat unser Vater bald erfahren, daß die Amerikaner an der Grenze in Furth i. W. nur vollzählige Familien übernimmt, bei uns aber fehlte einer, der Bruder Robert; er war in Budweis im Internierungslager. Dies hat Vater in der Lagerleitung in Wallern gleich gemeldet und ersucht zu veranlassen, daß Robert zum nächsten Transport frei kommt, der für 13. September bestimmt war. Da die Zeit zu kurz war ersuchten wir bis zum nächsten Transport zurückgestellt zu werden. Der Transport ging ohne uns ab und schon am nächsten Tag wurden wir nach Husinetz gebracht. Wir alle, bis auf Mutter und die jüngste, erst sechjährige Schwester, wurde in einer Hutfabrik zur Arbeit eingeteilt und mußten uns selbst versorgen. Nach gut zwei Wochen kam der Befehl, alle Deutschen müssen ins Lager zurück, es gehe der letzte Transport ab. Dort, in Wallern, wieder angekommen mußte unsere Anna, die Krankenschwester war, die Krankenstation im Lager übernehmen. Es hat schrecklich trostlos ausgesehen, fast keine Medikamente. Zwei Wochen sind noch vergangen bis die deutschen Familien aus den Sprachinseln zusammengeholt waren. Unser Robert kam nicht. Vater gab das Nachfragen auf als wir hörten, daß die Leute in den Gefängnissen, bevor man sie zu den Angehörigen ins Aussiedlungslager entläßt, geschlagen und übel zugerichtet werden. So fügten wir uns, um nicht noch mehr zu schaden, in das Schicksal.
Am 10. Oktober sind wir zum Bahnhof in Wallern gebracht und in die Wagons "verladen" worden. Unsere Anna mußte die Betreuung vom Transport übernehmen; in unserem Wagon hatten wir die kranken Leute. Nach endloser Fahrt, wie uns schien, sind wir an der Grenze Furth im Wald angekommen, wo wir bei einem längeren Aufenthalt auch Verpflegung bekamen.
Das Sammellager in Winterberg (Vimperk)
Das Sammellager in Winterberg (Vimperk) nahm seine Tätigkeit am 27.5.1946 auf. Bis dahin dienten der Wiesnersaal und der Sternsaal zur Abfertigung der Winterberger Deutschen, die nach Prachatice gebracht werden sollten. Vorrübergehend war das Lager in der Handelsschule untergebracht, dann in einer Fabrik der Firma Steinbrener (die so genannte Heilige Anna). Ab 26.7.1946 wurden anstelle der Handelsschule weitere Bauten der Firma Steinbrener benutzt – der so genannte Heilige Jan. Insgesamt wurden in den drei Gebäuden vorrübergehend 7114 Personen untergebracht. In den Fabrikhallen waren die Unterkunftsbedingungen reichlich provisorisch. Es gab dort keine Waschanlagen. Die Menschen mussten sich im Hof im Wassergraben waschen und gekocht wurde in drei Armeeküchen. Um die Gesundheitslage der Belegschaft des Sammellagers kümmerten sich zwei Ärzte und eine Krankenschwester. Leiter des Lagers war der Fähnrich Rudolf Steinhäusel. Die Tätigkeit des Lagers Vimperk wurde am 10.10.1946 eingestellt. Heute befindet sich in dem ehemaligen Lagergebäude das Hotel Anna, das auf dem Foto zu sehen ist.
Emil Spitzenberger
Quelle: Naubauer, Richard: Wo meine Wiege stand s’Lebuachert. Erinnerungen an das ehemalige Grenzdorf Ober- und Unterlichtbuchet mit Scheuereck im Böhmerwald, Verlag Dorfmeister, Tittling 2004.
Sechs Gendarmen kamen roh und ohne Gruß ins Zimmer, packten Koffer und Kisten, warfen sie auf den inzwischen vorgefahren Ochsenwagen und durchstöberten das Haus. Zum letzten Mal schaute ich mich in der Stube um, Tisch, Bänke, Stühle, Wäscheschrank, sah auf dem Herd, einige Töpfe, leere Bettstellen, denn das Bettzeug hatten wir eingepackt. An den Wänden hingen noch einige alte Heiligenbilder. Die Tschechen machten die Haustüre zu und wir gingen hinter dem Wagen her, der unsere Habseligkeiten barg. Ruhig, ohne Worte und Tränen gingen wir, auch schauten wir nicht zurück, unsere Feinde sollten sich an unserem Leide nicht freuen.
Auf die gleiche Weise ging es bei allen Familien und ein Wagen hinter dem andern fuhr durch Lichtbuchet, hinten ein Häuflein Menschen mit Gendarmeriebegleitung. In Kuschwarda standen Lastautos bereit, Kisten und Truhen wurden aufgeladen, einige Familien dazu, nebst zwei Gendarmen ging’s nach Winterberg, wo in der früher deutschen Bürgerschule das Lager war. Die Gendarmen erwarteten uns. Eine Kiste nach der anderen musste geöffnet werden und der Inhalt wurde durchgewühlt, die Kleidungsstücke abgetastet. Papiere kontrolliert und größere Geldbeträge sowie Schmuck abgenommen.
Irmina Nussbaum
Quelle: Die Vertreibung, In: Pfarrgemeinde Kuschwarda in Böhmerwald, Tittling 1996, S. 331 – 332.
Am Morgen des 5. Juni erschienen zwei tschechische Gendarmen mit Lastwagen, auf denen die einzelnen Familien samt ihrem Gepäck verladen wurden. Alle Familienmitglieder "durften" auf ihren Truhen oder Kisten sitzen. So ging es in das Lager, das in einem Betriebsgebäude der Familie Steinbrener, in St. Anna, in der Winterberger Bahnhofstraße vorbereitet war.
(Heute ist dieses Gebäude ein elegantes Hotel mit dem Namen "Anna", da dem Eingang gegenüber ein großes Standbild der heiligen Mutter Anna steht, das ein Inhaber der Fa. Steinbrener einem in Wien tätigen Winterberger Künstler namens Igler abgekauft und damals im Giebel des Hauses hatte aufstellen lassen).
Während der Pfingstwoche mussten alle Vertriebenen im Lager bleiben. Ihr "Besitz" wurde noch einmal von den Tschechen gründlich durchsucht, und verringert, denn es hätte doch etwas dabei sein können, das ein tschechisches Herz hätte erfreuen können. Sogar eine kleine Puppe wollte ein tschechischer Gendarm einem Mädchen entreißen, aber das Kind hielt das Püppchen eisern fest, bis der Tscheche aufgab.
An den Pfingsttagen erschienen im Lager Bekannte aus Winterberg; sie brachten warmes Essen, da es im Lager nur dünnen schwarzen Kaffee gab. Nach Pfingsten wurden die Vertriebenen auf Lastwagen zum Bahnhof gebracht und in Viehwaggons verladen. Ein tschechischer Gendarm erschien mit einem Helfer in unserem Abteil und stapelte alle Truhen und Kisten so, dass die Sachen nicht durcheinanderfallen konnten, was in anderen Viehwaggons immer wieder vorkam. Es war die kleine Geste eines tschechischen Mannes, dessen deutsche Schwiegereltern mit uns vertrieben wurden.
Am nächsten Tag fuhr der Zug in Richtung Furth i. W. ab.