Wie man reiste
Für die Einreise war ein gültiges Einreisevisum erforderlich. Das Visum erhielten Westdeutsche über die Konsular- und Visaabteilung der Botschaft der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik bzw. bei der tschechoslowakischen Militärmission in West-Berlin. Auswärtige Vertretungen der Tschechoslowakei befanden sich in der Bundesrepublik in Baden-Baden, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg und München. Für Polizistinnen bzw. Polizisten oder Pfarrer war es schwierig oder fast unmöglich ein Visum für die Einreise in die Tschechoslowakei zu erhalten.
Aus dringenden persönlichen oder geschäftlichen Gründen konnte die tschechoslowakische Grenzpolizei auch kurzfristige Einreisegenehmigungen direkt an der Grenze erstellen. Verstarb oder erkrankte zum Beispiel ein Verwandter, so konnten die Angehörigen den Behördengang wesentlich verkürzen. Wer nicht übernachten wollte, konnte die Prozedur ebenso verkürzen: Viele Bewohner des Bayerischen Grenzlandes nahmen den Umweg über Wullowitz in Österreich in Kauf, um von dort nach Dolni Dvoriste in der Tschechoslowakei zu fahren. Mit dem Zug musste man über den österreichischen Ort Summerau nach Horni Dvoriste reisen. Nur dort erhielt man Visa für einen oder zwei Tage ohne langes Warten. Für den Grenzübertritt aus Österreich war Folgendes nötig:
• Ein Visumsantrag, der 50 bis 72 Schilling kostete
• Ein gültiger Reisepass
• Zwangsumtausch von 100 Schilling pro Aufenthaltstag, die nicht wieder aus dem Land ausgeführt werden durften
• Eine Autoversicherung
• Die Ausreise konnte auch über einen CSSR/Bayern-Übergang erfolgen
Im Jahr 1989, kurz vor der Wende bzw. der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei, schuf die Tschechoslowakei am Grenzübergang Waidhaus/Rozvadov die Möglichkeit für westliche Touristen, gegen eine Gebühr von 60 DM [30EUR] an Ort und Stelle ein Kurzzeitvisum zu erhalten. Die erleichterte Reisemöglichkeit nahmen 1989 rund 82 000 Personen in Anspruch.
An der Grenze verlief die Kontrolle auf bayerischer Seite meistens reibungslos. Dagegen mussten die Reisenden am tschechoslowakischen Grenzhaus stundenlange Wartezeiten auf sich nehmen.
1975 stand im Jahresbericht der Bayerischen Grenzpolizei: „Auf beiden Seiten der Staatsgrenze sind die Reisenden in jeder Richtung einer Totalkontrolle unterworfen. Diese entspricht auf der tschechoslowakischen Seite den in einem Ostblockstaat üblichen, sehr strengen Methoden, die keine Rücksicht auf den Reisenden, die Dauer der Kontrolle, Zugverspätungen u.ä. nehmen. Oft wurden Reisende aus nicht erkennbaren Gründen zurückgewiesen. Manchmal entstand der Eindruck, dass die Dienstfreude der csl. [tschechoslowakischen] Kontrollorgane teils von ihrer Laune, teils vom Fernsehprogramm (Sportübertragungen!) abhinge.
Zeitweise verschärfte Kontrollen und wahrscheinlich solche „internen“ Anlässe hatten immer wieder mehrstündige Wartezeiten zur Folge.“
Zu den Hauptreisezeiten wie Fronleichnam oder Ostern gab es Wartezeiten bis zu zehn Stunden. Das rigorose Vorgehen bei der Kontrolle ging so weit, dass Reisenden, deren derzeitiges Aussehen von dem des Porträts im Ausweis abwich, die Einreise verweigert wurde. Bis zu 7000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger wurden pro Jahr an der Grenze zur Tschechoslowakei abgewiesen.
Vor 1989 reisten eher Geschäftsleute, darunter viele Holzhändler. Rein touristische Besuche waren selten, meist handelte es sich um Familientreffen.
Visumspflichtige Reisende wie die Bundesbürgerinnen bzw. -bürger hatten Meldepflicht in der Tschechoslowakei. Die Meldestelle war jedoch nicht am Wochenende oder an Feiertagen geöffnet. Wenn der oder die Reisende seiner/ihrer Pflicht also nicht nachkam, musste Strafe gezahlt werden. Die Reisenden beugten sich dieser Schikane, da ein Widerspruch längere Verhandlungen bei der tschechoslowakischen Passkontrollstelle und somit einen längeren Aufenthalt oder ein Wiedereinreiseverbot zur Folge haben konnte.
In der CSSR bestand ein Pflichtumtausch. Dieser lag zwischen 12 und 30 Deutschen Mark pro Tag und verhalf dem sozialistischen Staat zu Deviseneinnahmen.
Bei der Rückreise zeigten sich viele Deutsche erleichtert, die unberechenbare Grenzkontrolle hinter sich gelassen zu haben. Erstmals seit zehn Jahren nahm im Jahr 1974 die Zahl der Grenzübergänge ab. Der Jahresbericht der Bayerischen Polizei erklärte 1974 hierzu: „Nicht zuletzt mögen am Rückgang des Reiseverkehrs auch die vielfach schikanösen Kontrollen der tschechoslowakischen Polizei schuld sein.“
Nach der Rückkehr in die Bundesrepublik berichteten die Reisenden den Beamten der Bayerischen Grenzpolizei über die Situation ihrer Freunde oder Angehörigen in der Tschechoslowakei und verhalfen den Beamten somit zu weiteren Einblicken in das Nachbarland.
Einige der erwähnten Reisedokumenten finden Sie bei den Schriftquellen in der Rubrik Unterricht und Materialien.
Die legale Ausreise ins Ausland wurde den Bürgerinnen und Bürgern der Tschechoslowakei wesentlich im unmittelbaren Zusammenhang mit der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 erschwert. Das kommunistische Innenministerium hatte schon am 23. Februar 1948 die Gültigkeit aller Reisepässe der tschechoslowakischen Staatsbürger aufgelöst. Für manche Bürgerinnen und Bürger (insbesondere für die so genannten „Unzuverlässigen“) war es auch in den nächsten Jahren gar nicht einfach, einen Reisepass zu bekommen. Falls jemand einen Reisepass im Besitz hatte, war das Ziel noch nicht erreicht. Besonders das Reisen in nichtsozialistiche Staaten war mit vielen bürokratischen und oft demütigenden Schritten verbunden. Das Ziel war, den Kontak mit den Menschen im Westen möglichst zu verhindern. Die tschechoslowakischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger machten nur 25% aller Reisenden an der Grenze zur BRD aus. Die Prozedur, die zum Erwerb einer Ausreiserlaubnis führte, ist Ende der 80er Jahren ungefähr auf diese Weise verlaufen:
• Man musste in der Tschechoslowakischen Staatsbank einen Antrag auf die so genannte Devisenzusage stellen. Das war die einzige Möglichkeit, wie man auf offiziellem Weg Fremdwährung (jedoch nur eine begrenzte Menge) gegen tschechoslowakische Kronen wechseln konnte. Der Antrag musste vom Arbeitgeber/Arbeitgeberin, von der Schule oder vom Nationalausschuss empfohlen sein. Man musste ihn mit einer Gebührenmarke versehen und einige Wochen auf die Erledigung warten. Die Devisenzusage wurde jedes Jahr bis Ende März zugeteilt. Jeder konnte den Antrag stellen, jedoch die so genannten „unzuverlässigen“ Personen haben meistens keine Devisenzusage bekommen. Ohne sie durfte man nicht ausreisen. (Als Ersatz für die Devisenzusage konnte eine Einladung dienen. In einem solchen Fall musste der Ausländer für seinen Gast in der Tschechoslowakischen Staatsbank 36,50 DM oder die selbe Summe in einer andern Währung für jeden Tag des Aufenthalts niederlegen.)
• Man musste einen Antrag auf den Auszug aus dem Strafregister stellen. Den Auszug erhielt man nach drei Wochen, seine Gültigkeit war zwei Monate.
• Man musste einen Antrag auf den so genannten Ausreisevermerk (die eigentliche Ausreisegenehmigung) stellen. Dieser Antrag musste wiederum vom Arbeitgeber/Arbeitgeberin, von der Schule, Militärverwaltung oder dem Nationalausschuss empfohlen werden. Bevor der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin den Antrag empfahl, musste man einige weitere Erfordernisse erfüllen und ein Gespräch in der Kaderabteilung über sich ergehen lassen. Auch in der Schule musste man zuerst einen Antrag stellen, in dem man das Reiseziel angeben musste und den dann der Studienleiter bzw. die Studienleiterin, die Klassenlehrerin bzw. der Klassenlehrer und der oder die Vorsitzende des Sozialistischen Jugendverbands bewilligen mussten. Man musste zum Antrag 2 Fotos, eine Gebührenmarke im Wert von 50 Kronen, den Reisepass, die Devisenzusage und den Auszug aus dem Strafregister beilegen. Mit dem Antrag musste man persönlich in die Reisepässe- und Visaabteilung der Polizei gehen. Die Erledigung des Antrags auf den Ausreisevermerk dauerte etwa einen Monat. In dieser Zeit hatte der Antragsteller oder die Antragstellerin keinen Reisepass und konnte deswegen auch nicht in die sozialistischen Länder ausreisen.
• Man musste einen Antrag auf ein Visum stellen. Das konnte man entweder direkt auf der Botschaft in Prag oder durch die Vermittlung des Reisebüros Čedok machen, was aber längere Zeit dauerte. Zum Antrag musste man ein bis drei Fotos, den Reisepass und den Ausreisevermerk beilegen. Während der Zeit, in der der Antrag bearbeitet wurde, hatte der Antragsteller keinen Reisepass und konnte deswegen auch nicht in die sozialistischen Länder ausreisen.
• In der Tschechoslowakischen Staatsbank musste man eine Zoll- und Devisenerklärung ausfüllen, die man mit einer Gebührenmarke im Wert von 300 Kronen versehen musste (für eine Reise in kapitalistische Länder länger als 4 Tage). Erst dann konnte man Devisen wechseln.
• Hatte der oder die Reisende einen Hochschulabschluss, musste er/sie vor der Reise das Hochschuldiplom bei der Arbeitgeberin/dem Arbeitgeber abgeben.
• War der Reisende Soldat, musste er vor der Reise seinen Soldatenausweis bei der Militärverwaltung abgeben und die Bescheinigung über die Abgabe mitnehmen.
Zdeněk Hromas: Das Reisen in der Zeit des Sozialismus (Quelle: www.totalita.cz)
"Ich wohne seit Jahren in Železný Brod. Die junge Generation und diejenigen mit kurzem Gedächtnis, möchte ich nun daran erinnern, was alles man vor dem Jahr 1990 unbedingt brauchte, wenn man ab und zu (jedoch ohne Ehefrau und Kinder) seine eigene Schwester besuchen wollte. Sie war legal nach Deutschland ausgewandert und wohnte etwa 100 km westlich von der tschechischen Grenze im ehemaligen Westdeutschland.
Neben dem gültigen Reisepass, dessen Aushändigung mit allerlei unvorstellbaren Obstruktionen verbunden war, brauchte ich unbedingt aus dem Ausland auch eine notariell beglaubigte Einladung zum Besuch. Sie durfte nicht älter als drei Monate sein und meine Schwester musste sich darin verpflichten, alle mit meinem Aufenthalt verbundenen Kosten zu tragen. Ich brauchte auch einen gültigen Auszug aus dem Strafregister.
Zugleich war noch die Militärverwaltung im Spiel. Ich brauchte von ihr eine schriftliche Zustimmung mit dem Besuch. Ich musste da mehrmals eine stupide Schulung über Agenten absolvieren. Weitere bedingungslose Notwendigkeit war ein Antrag bei meinem Arbeitgeber und bei den Gewerkschaften, ob sie meinem privaten Besuch zustimmten. Meistens haben sie wirklich schriftlich zugestimmt, jedoch war es wieder mit vielen Instruktionen und Gesprächen verbunden.
Aufgrund der notariell beglaubigten Einladung, des gültigen Auszugs aus dem Strafregister, der schriftlichen Zustimmung der Militärverwaltung, des Arbeitgebers und der Gewerkschaften konnte ich einen umfangreichen Antrag auf Ausreisevermerk in der Bezirksreisepässe- und Visaabteilung stellen. Den Antrag musste ich mehrmals umarbeiten, denn jeder Beamte hatte eine andere Auffassung von den Details. Es ist niemals passiert, dass der Beamte selbst in den Antrag etwas ergänzen würde oder dass ich es direkt im Büro korrigieren durfte.
Als der Antrag endlich angenommen wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Aushändigung des Ausreisevermerks zu warten, den ich persönlich abholen musste. Mehrmals ist es passiert, dass er aus irgendeinem administrativen Grund nicht rechtzeitig fertig war. Dann musste ich die ganze Prozedur von vorn absolvieren, denn alle die Genehmigungen und Bescheinigungen hatten nur eine bestimmte Gültigkeitsdauer.
Mit dem gültigen Ausreisevermerk musste ich dann nur noch in die Bank gehen, wo ich einen Antrag auf Devisenzuteilung gestellt hatte. Dann konnte ich etwa 25 Mark für die ganze Aufenthaltsdauer kaufen, wofür ich von der Bank eine schriftliche Bescheinigung erhielt, dass ich das Geld ordnungsgemäß erworben habe. Vor jeder Abreise musste ich dann nur noch meinen Soldatenausweis abgeben, wofür ich auch eine schriftliche Bestätigung mit einem runden Stempel erhielt. Das deutsche Visum bekam ich innerhalb von einer Woche nach der Antragstellung. Dann blieb nur, Gebührenmarken einzukaufen, Zoll- und Devisenerklärung auszufüllen und man konnte losfahren.
Allein für die Reise über die Westgrenze brauchte ich also damals unbedingt:
gültigen Reisepass,
gültiges Visum,
gültigen Ausreisevermerk
gültige Bestätigung über die Abgabe des Soldatenausweises,
gültige Bestätigung von der Bank über die Devisenzuteilung,
gültige gestemplte Zoll- und Devisenerklärung,
unglaublich starke Nerven."
Einige der erwähnten Reisedokumenten finden Sie bei den Schriftquellen in der Rubrik Unterricht und Materialien.