Ankunft in Bayern
Christa Anna Dvorak: Aus Böhmen vertrieben – aus Sachsen geflohen - in Bayern heimisch geworden, Andreas-Haller-Verlag, Passau 1997.
Was die Eltern bis zum Schuljahresbeginn nicht ändern oder verbessern konnten, war unsere beengte Unterbringung. Im Herbst 49 kamen noch zu viele Menschen an, die zumindest ein Bett brauchten. Wenn ich heute darüber nachdenke, weiß ich nicht, wie unsere Familie es schaffen konnte, mit diesem Leben zurechtzukommen. Aber es musste gehen, und irgendwie ging es auch. Wer dachte damals z.B. an eine psychologische Betreuung der geschändeten Frauen oder an eine entsprechende Verpflegung für unterernährte Kinder? Deutschland war „am Boden zerstört“, die einheimische Bevölkerung musste sich selbst erst wieder aufrappeln, da blieb für die dreizehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen nicht allzu viel übrig. Jeder musste selbst schauen, wie er am besten zu recht kam. Das bisschen Übergangsgeld, ein paar gespendete Kleidungsstücke und die Schulspeisung wurden dankbarst angenommen, waren aber nur ein Tropfen auf den berühmten „heißen Stein“.
Helga Großmann-Smola: Fahrt ins Ungewisse
Quelle: Helga Großmann-Smola: Fahrt ins Ungewisse, in: Hans Harwalik – Fritz Pimmer (Hrsg.), Winterberg in Böhmerwald, Freyung 1995, S. 568 – 573.
Helga Großmann-Smola schrieb diesen Bericht für den Vortragsabend des 10. Winterberger Heimattreffens 1986 in Freyung. Er wurde um einige Erlebnisse einer unbekannten Verfasserin erweitert, die ihre Erinnerungen an den ersten Vertreibungstransport aus Winterberg in Heft 5/1966 des »Böhmerwäldler Heimatbriefes« veröffentlicht hat.
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Am Joseftag, dem 19. März, einem herrlichen Frühlingstag, brachte man uns unter Gendarmeriebegleitung zum Bahnhof. Wieder in Viehwaggons, die völlig überfüllt waren, ging es auf die Reise ins Ungewisse. In Furth im Wald, endlich auf deutschem Boden, wurden uns Zettel in die Hand gedrückt, auf denen wir angeben konnten - es klang wie ein Hohn - wohin wir »zu gehen wünschten«. Zur Auswahl standen Hanau, Höchst und Rüdesheim. Wer von uns Winterbergern hatte bis dahin schon etwas von Hanau gehört? Vielleicht etwas von Höchst wegen seiner Industrie, sicher von Rüdesheim am Rhein, aber von Hanau? Schon in Prachatitz waren wir »entlaust« worden, ein Vorgang, der uns mehr amüsierte als kränkte, und den die, die ihn anordneten unter Umständen nötiger hatten als wir. Auch in Furth wurden wir wieder »entlaust« ...
Die Weiterfahrt von Furth wurde zu einer qualvollen, menschenunwürdigen Reise. Ab und zu wurde der Transportzug angehalten. Bestimmte Personen mussten aus den Wagen klettern und draußen antreten. Es wurde mit Fingern gezeigt, palavert, anscheinend suchte man Kriegsverbrecher. Die Betroffenen hatten Angst, aus unerforschlichen Gründen zurückgehalten zu werden und nicht mit den Angehörigen weiterfahren zu dürfen. Manchmal hielt der Zug, und alles musste aussteigen, damit wir entlang der Bahnlinie unsere aufgestaute Notdurft verrichten konnten. Jeder fürchtete, den richtigen, »seinen« Waggon nicht rechtzeitig wieder zu finden. Es kam auch vor, dass Männer während der Fahrt die Schiebetür etwas öffneten, um einer alten Frau, die sie an den Armen festhielten, die Erledigung ihres dringenden Geschäfts zu ermöglichen.
Nach einer endlos scheinenden Fahrt wurden einige Waggons, darunter auch der unsere, in Hanau abgekoppelt. Die anderen fuhren weiter in Richtung Höchst und Rüdesheim. Wir »Hanauer« hatten nur noch eine kurze Strecke in Richtung Fulda vor uns, bis wir in Nieder-Rodenbach endlich die Waggons verlassen konnten, während die letzten nach Langenselbold weiterfuhren. Am Bahnübergang warteten Ochsenkarren, von Bauern aus der Umgebung geführt, die unser Gepäck aufnahmen. Ein Teil der Winterberger wurde nach Rückingen gebracht, der andere den Berg hinauf nach Ober-Rodenbach. Ein kleines Dörfchen von dreihundert Seelen war das Ziel, das für viele von uns endgültig die »neue« Heimat werden sollte.
Ungefähr sechs Wochen lebten wir im Gasthaussaal des Anton Peter auf Strohlagern. Es gab nur eine »sanitäre« Anlage auf dem Hof und nur eine einzige Wasserpumpe. Nur unter schwierigsten Bedingungen konnte etwas gekocht werden. Schließlich waren alle auf die bäuerlichen Anwesen aufgeteilt und in Notwohnungen eingewiesen. Manchen Familien gelang es, in anderen Gebieten Deutschlands Fuß zu fassen; den meisten war Bayern am liebsten. Mit der Zeit fanden getrennte Familien zusammen, und mit weiteren Transporten kamen wieder Freunde und Bekannte aus der Heimat nach Hessen. Dort hatten wir erhebliche Verständigungsschwierigkeiten mit der ortsansässigen Bevölkerung und diese mit uns, denn der oberhessische Dialekt und unsere Winterberger Mundart weisen keine Gemeinsamkeiten auf. Ähnlich soll es auch den Winterbergern im Schwäbischen ergangen sein. Sehr schwer war das besonders für die Kinder, die zu Ostern 1946 in Ober-Rodenbach eingeschult wurden.
Nach und nach normalisierte sich das Leben. Wir, die von daheim Verjagten, trotzten der schier ausweglosen Situation, bauten das zerstörte Deutschland mit auf und schufen uns neue Existenzen. Die allermeisten von uns können stolz sein auf das, was sie durch Fleiß, Können und Zuverlässigkeit erreicht haben. Der Krieg hat unendliches Leid über die Welt gebracht. Uns hat er auch noch die Heimat, die geliebte und unvergessene, genommen. Vielleicht aber hat es das Schicksal trotz allem gut mit uns gemeint. Ob wir nämlich daheim unter den dort herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen und als rechtlose Sklaven, denen man nicht einmal die Erziehung der Jugend in ihrer Muttersprache gewährt, glücklich wären? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. . .
Tagebucheintrag von Helma Keller am 12. Mai 1945, die mit einer Schülergruppe über die tschechisch-bayerische Grenze flüchtet.
Quelle: Sudetendeutsches Archiv München.
12.5. Neuhausl - Rosshaupt (Rozvadov). Wir freuen uns, heil an der Grenze zu sein. Morgen werden wir in Deutschland sein. Dann ist alles viel besser. So denken wir - und werden bitter enttäuscht. Die Amerikaner halten den immer stärker werdenden Flüchtlingsstrom nach Bayern an. Uns bleibt nur das Campieren im Freien auf einer Wiese. Die Nacht ist kalt und feucht. Nebel ziehen auf. Hunderte sitzen auf dieser Wiese gleich uns fest: Berliner, Sachsen, Schlesier und Pommern. Frauen mit Babys, Greise, allein gebliebene Kinder - einzelne und kleine Grüppchen. In Kinder- und Handwagelchen versuchen die Leute ihre Habe zu retten. Meinen Koffer hatte ich schon längst stehen lassen müssen, weil ich ihn nicht mehr zu tragen vermochte. Habe nur noch das, was ich am Leibe trage - zum Glück noch einen Wintermantel, eine Steppdecke und, es mag komisch klingen, eine Alt-Blockflöte. Anscheinend bleibt die Wiese für längere Zeit unsere "Unterkunft". Um nicht der tödlichen Langeweile zu verfallen, mache ich mit "meinen" Kindern KLV-Lagerbetrieb [KinderLandVerschickung], das heißt, wir singen erzählen, turnen und machen Spiele. Die Lehrerin versucht, ohne jegliches Hilfsmittel, Unterricht zu halten. Jeden Abend singe ich meinen Kindern ein Lied, wie gewohnt und spiele auf der Flöte. Alle auf der Wiese warten schon bald auf diesen Tagesausklang, um dann unter dem Sternenzelt vielleicht ein paar Stunden ihre Lage vergessen zu können. Die Amis geben den Kindern Weißbrot und Schokolade. Sie rufen: "Hello Fraulein" und geben den Mädchen und Frauen ganze Rationspakete. Ich gehe dort nicht hin.
22.5. Heute ist mein 19.Geburtstag. Zwei Berliner von der Wiese und die Kinder singen für mich ein Ständchen. Es war, trotz aller widrigen Umstände, ein schöner Tag, denn wir waren jung und voller Lebensmut.
4.6. Den Amis gefällt es endlich, uns weiterziehen zu lausen. Wir dürfen aber nicht geradewegs über die nahe Grenze, sondern müssen einen Umweg über St.Katharina, Linsendorf, Dianaberg bis wieder an die Grenze bei Eisendorf (Ruštejn) machen. Als wir dort ankommen, war die Grenze seit einer halben Stunde gesperrt. Wir sind dennoch nicht entmutigt und übernachten herrlich auf einem Heuboden.
5.6. Wir sind endlich in Bayern! Wir werden als "Nemci" nicht mehr gefährdet sein. Unser Jubel erfährt aber alsbald Grenzen. Die Flüchtlinge werden von einem katholischen Geistlichen in Empfang genommen und an die nächste Verpflegungsstelle weitergeleitet. Als ich mit meinem Häuflein ankomme sagt er wörtlich: "Für Nazis haben wir nichts übrig!" - Das müssen meine erzkatholischen Kinder erst verdauen. Wir gehen trotzdem mit der großen Masse über Pfrentsch nach Waidhaus. Dort ist in der Schule eine Verpflegungsstelle.
Auguste Eppinger-Unterrainer: Erlebtes – Erlittenes. Ausweisung der Familie Damian Eppinger ("Mikschler")
Quelle: Auguste Eppinger-Unterrainer: Erlebtes – Erlittenes. Ausweisung der Familie Damian Eppinger ("Mikschler"), In: Die Schneedörfer und Orte der Umgebung in Böhmerwald, Augsburg 1988, S. 316.
Nachdem in Oberschneedorf und Neuhäuser das Getreide abgeerntet und gedroschen war, haben wir die Karte mit der Aufforderung zur Ausweisung bekommen. Eine Woche hatten wir Zeit zum Packen. Am 6. September 1946 sind wir mit den Familien Pechmann ("Kasperl"), Jungbauer ("Großkopf"), Mickschl ("Mikschlschuaster"), Penterling ("Peterl") und einer weitere Familie von Tschechen, die als Kolchosenleiter hier eingesetzt waren, in das männliche Arbeitslager nach Wallern gebracht worden. Drei Familien sind noch in Neuhäuser geblieben. Im Lager hat unser Vater bald erfahren, dass die Amerikaner an der Grenze in Furth i. W. nur vollzählige Familien übernimmt, bei uns aber fehlte einer, der Bruder Robert; er war in Budweis im Internierungslager. Dies hat Vater in der Lagerleitung in Wallern gleich gemeldet und ersucht zu veranlassen, dass Robert zum nächsten Transport frei kommt, der für 13. September bestimmt war. Da die Zeit zu kurz war ersuchten wir bis zum nächsten Transport zurückgestellt zu werden. Der Transport ging ohne uns ab und schon am nächsten Tag wurden wir nach Husinetz gebracht. Wir alle, bis auf Mutter und die jüngste, erst sechsjährige Schwester, wurde in einer Hutfabrik zur Arbeit eingeteilt und mussten uns selbst versorgen. Nach gut zwei Wochen kam der Befehl, alle Deutschen müssen ins Lager zurück, es gehe der letzte Transport ab. Dort, in Wallern, wieder angekommen musste unsere Anna, die Krankenschwester war, die Krankenstation im Lager übernehmen. Es hat schrecklich trostlos ausgesehen, fast keine Medikamente. Zwei Wochen sind noch vergangen bis die deutschen Familien aus den Sprachinseln zusammengeholt waren. Unser Robert kam nicht. Vater gab das Nachfragen auf als wir hörten, dass die Leute in den Gefängnissen, bevor man sie zu den Angehörigen ins Aussiedlungslager entlässt, geschlagen und übel zugerichtet werden. So fügten wir uns, um nicht noch mehr zu schaden, in das Schicksal.
Am 10. Oktober sind wir zum Bahnhof in Wallern gebracht und in die Wagons "verladen" worden. Unsere Anna musste die Betreuung vom Transport übernehmen; in unserem Wagon hatten wir die kranken Leute. Nach endloser Fahrt, wie uns schien, sind wir an der Grenze Furth im Wald angekommen, wo wir bei einem längeren Aufenthalt auch Verpflegung bekamen. Die Amerikaner kontrollierten jeden Waggon. Abends ging der „Vertriebenen-Transportzug"
weiter und am 13. Oktober sind wir in Neumarkt in der Oberpfalz angekommen. Bei den dortigen Einwohnern hat zunächst eine große Ratlosigkeit geherrscht. Wohin mit so vielen Menschen? Nach langen Beratungen wurden die Kranken und Gehbehinderten in ein Altersheim gebracht. Lastwagen kamen und fuhren uns mit Sack und Pack auf die Burg Kastl, wo wir am Speicher gelandet sind. Als es am nächsten Morgen Licht wurde sahen wir, dass wir in einer armen Gegend sind und wir hier nicht bleiben können. Vater entschloss sich um den Zuzug in den Landkreis Passau anzusuchen. Dieser war gesperrt, aber Pfarrkirchen hat noch Familien aufgenommen und wir bekamen dorthin Zuzugserlaubnis. Wir mussten im "Rottaler Hof" nochmals ins Lager gehen und erst kurz vor Weihnachten ist uns eine Wohnung in Brandstat zugewiesen worden. Über drei Monate unterwegs, von dem vertrauten Daheim in die Fremde! - Dort haben uns die Leute schief angeschaut, aber wie sie gemerkt haben, dass wir arbeitswillige Leute sind, hat sich ihre kühle abweisende Haltung doch bald geändert.
Irmina Nussbaum: Die Vertreibung
Quelle: Nussbaum, Irmina: Die Vertreibung, In: Pfarrgemeinde Kuschwarda in Böhmerwald, Tittling 1996, S. 331 – 332.
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Am nächsten Tag fuhr der Zug in Richtung Furth i. W. ab. An der Grenze wurde von deutscher Seite für alle Zuginsassen eine Entlausung durchgeführt. Dann brachte uns der Zug weiter in die schwäbische Stadt Göppingen. Am Dreifaltigkeitssonntag durften wir "Kirta" in einem Sammellager einer deutschen Schule "feiern".
Manche der Vertriebenen wurden von Verwandten, die bereits in Westdeutschland sesshaft waren, abgeholt, aber die meisten mussten sich nun selbst um Wohnung, Arbeit usw. kümmern, was in dem damals zerstörten Deutschland nicht immer einfach war.
Wir wollten uns auf der Reise in den Bayerischen Wald während eines stundenlangen Aufenthalts in Ulm das Münster ansehen, konnten es aber vor lauter Trümmerbergen kaum finden, und konnten zwischen den gotischen Gewölben auch den blauen Himmel bewundern.
Wir waren sehr froh, von nun an in Bayern, in der Nähe unserer ehemaligen Heimat wohnen zu dürfen, wohin ab 1947 auch unsere damals noch in Gefangenschaft weilenden männlichen Angehörigen zu uns kamen.
Naubauer, Richard: Wo meine Wiege stand s’Lebuachert. Erinnerungen an das ehemalige Grenzdorf Ober- und Unterlichtbuchet mit Scheuereck im Böhmerwald, Verlag Dorfmeister, Tittling 2004.
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"Unübersehbar war der Zug der Deutschen, der schweigend durch die Stadt zum Bahnhof marschierte. Männer, Frauen, Kinder und Greise, still und schweigend, wie ein ungeheuerlicher Leichenzug. Von beiden Seiten war der Zug von tschechischer Gendarmerie, Polizei und Partisanen begleitet, die mit gezogenen Waffen in allen möglichen deutschen Monturen wohl das Ehrengeleite gaben. Von den Balkonen und Fenstern der deutschen Stadt schauten die bereits angesiedelten Tschechenfrauen dem Menschenzug zu, erfreuten sie sich doch ihrer so leicht erworbenen Häuser, die die Deutschen verlassen mussten. Reibungslos und ruhig wickelte sich die Einwaggonierung ab. Die bereits im Lager abgezählten und nummerierten Gruppen werden zu den gleich nummerierten Waggons geleitet, der auch ihr Gepäck enthält und müssen einsteigen, wonach die Tür des Viehwaggons bis zu einem kleinen Luftspalt geschlossen wird und ein Partisan mit gezogenem Karabiner Posten fasst. Ein Aussteigen ist nicht mehr gestattet. Erst als die Dunkelheit einbricht, kommt in den langen, vorn und hinten mit je einer Lokomotive bewehrten Zug Bewegung. Der vor jedem Zug stehende Soldat steigt ein und frühmorgens sind wir in Pilsen. Dort stehen wir einige Stunden, aussteigen darf man nicht, und über Taus sind wir Mittag an der Grenze in Furth im Wald. Auf bayerischem Boden verschwindet der Partisan. Alle müssen aussteigen, waschen, zu den Aborten. Zur Untersuchung zwecks Ungeziefer und Krankheiten werden alle mit Insektenpulver eingestaubt, aber nichts zum Essen, nur etwas Brot, Zucker und Mehl wird familienweise verteilt. Nur das deutsche Zugspersonal ist da, kurz, bündig, unfreundlich. So kommen wir nach Cham, wo ein Teil der letzten Waggons abgehängt werden und die Flüchtlingspassagiere in den dortigen Gemeinden verteilt werden. Wir fahren weiter und stehen einen Tag in Regensburg. Man weiß nicht, wohin mit uns. Fast in allen Gemeinden sind schon Flüchtlinge. Die Bürgermeister wehren sich gegen neue Flüchtlingsaufnahmen.“
Mathilde Kreitmaier geb. Thuma, Kindheit und Vertreibung, In: Kieweg, Herbert, Weasch’n, Wusch’n und Gulatsch’n. Die Pfarrei Sablat in Geschichte und Geschichten, 1994.
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In Furth im Wald wurden wir von den Amerikanern und deutschen Behörden übernommen. Hier bekamen wir erstmals frische Verpflegung. Im zerbombten Schwandorf war der nächste etwas längere Halt. Unterwegs hielten wir auch kurzfristig schon an kleineren Bahnhöfen an. Über Nürnberg kamen wir schließlich in Augsburg an. Dort verließen wir den Zug. Die Behörden waren mit der Aufnahme der etwa 1200 Vertriebenen, die mit diesem Transport aus Prachatitz in den Westen gekommen waren, überfordert. Nach dem dreitägigen Transport fanden wir schließlich in einer bombardierten Strickerei eine mehr als notdürftige Unterkunft. Da gerade Fronleichnamsfest war, wurde im Lager auch eine Messe gelesen. Am folgenden Tag wurde der Transport aufgeteilt. Die Handwerkerfamilien brachte man nach Füssen im Allgäu; die Bauern und Häusler mit ihren Familien kamen in ein Lager nach Neuburg an der Donau. Das Lager war im Studienseminar eingerichtet. Hier waren wir während der nächsten acht Tage untergebracht. Durch die Strapazen des Transportes und die mangelnde Ernährung waren wir alle schon recht kraftlos.
Wiederum eine Woche später wurden wir zusammen mit etwa 30 anderen Leidensgenossen auf einem offenen Lastwagen verfrachtet und nach Untermaxfeld im Donaumoos gebracht. Mittlerweile schrieb man den 1. Juli. In dieser flachen und für uns daher ungewohnten Gegend mit schwarzer Moorerde war uns recht bange nach den vertrauten Böhmerwaldbergen. Wir ahnten nicht, dass Untermaxfeld auf einige Jahre unsere neue Heimat werden sollte, denn wir klammerten uns an die Hoffnung, bald wieder in unsere Heimat zurück zu dürfen. Im Saal des Dorfwirtshauses wurden wir einquartiert. Auf dem Fußboden war reichlich Stroh aufgeschüttet, auf welchem wir erstmals nach vielen Tagen tiefen und erholsamen Schlaf fanden. Die Wirtin war - was damals keine Selbstverständlichkeit war - eine gutherzige und freundliche Frau.
Sie stellte uns ihren großen Waschkessel zur Verfügung, in welchem wir uns eine Kartoffelsuppe kochen konnten. Die Kartoffeln hatten einige von uns von Bauern bekommen. Auch einige Liter Milch kamen für die Kinder zusammen. Da gerade die Zeit der Heuernte war, halfen wir den Wirtsleuten beim Heuwenden mit recht unhandlichen, schweren Rechen, die wir von unserer Heimat her nicht gewohnt waren. So verdienten wir uns in Bayern unsere erste "Brotzeit". Mehr erwarteten wir an Lohn nicht und bekamen wir auch nicht, denn damals war die Arbeitskraft in der Landwirtschaft nichts wert.
Wieder einige Tage später wurden wir Vertriebenen an die Bauern in Untermaxfeld und in der näheren Umgebung aufgeteilt. Mutter, Großmutter und Bruder bekamen in Untermaxfeld eine kleine Dachwohnung, wo fortan meine Mutter für die Bauern Wolle spinnen mussten. Als Lohn erhielt sie einige Lebensmittel. Ich selbst kam nach Stengelheim zu einem Bauern, wo ich mich einige Jahre später mit einem Landwirt verheiratet habe. Meine Schwester kam zu einer Bäuerin nach Obermaxfeld, deren Mann in Russland vermisst war. Mit ihren sieben kleinen Kindern hatte sie damals einen besonders schweren Stand. Meine Mutter, mein Bruder und meine Schwester fanden später in Schrobenhausen in der "Neuen Heimat" im Jahre 1959 letztendlich. tatsächlich eine neue Heimat. In jener Siedlung, in der heute zahlreiche Böhmerwäldler leben, errichteten sie sich ein schönes Eigenheim. Unsere früheren Nachbarn hat es in viele Gegenden Bayerns verschlagen. So kamen "s'Englbertn" nach Meitingen, wo sie auch heute noch leben. Andere sind im Allgäu ansässig geworden. Wieder andere, wie "s' Frounzn", gelangten in die Oberpfalz. Der Schmerz der ersten Jahre über den Verlust der Heimat ist gewichen; aber mit Wehmut denke ich immer wieder an meinen geliebten Böhmerwald zurück.