Sammellager Vimperk
Irmina Nussbaum: Die Vertreibung
Quelle: Nussbaum, Irmina: Die Vertreibung, In: Pfarrgemeinde Kuschwarda in Böhmerwald, Tittling 1996, S. 331 – 332.
Am Abend des 3. Juni 1946 kam ein tschechischer Gendarm in unsere Wohnung und brachte eine doppelseitig bedruckte Karte, auf der außer dem tschechisierten Familiennamen (statt Hlinka - Hlinkova) alle Hinweise für die am 5. Juni vorgesehene Vertreibung gedruckt waren. Die gleiche Karte hatten am selben Tag viele Familien in Kuschwarda erhalten.
Das Gerücht über die bevorstehende Vertreibung hatte sich eilig im ganzen Ort verbreitet und nun erschienen Verwandte und Bekannte, um beim Packen der wenigen zur Mitnahme zugelassenen Habseligkeiten zu helfen. (50 kg für je 1 Person). Alles wurde in eine hölzerne Truhe aus Großmutters Besitz verpackt. Das Zusammensuchen des winzigen Anteils aus der ganzen Wohnung dauerte die ganze Nacht. Unsere kleine Katze, die sonst ruhig auf dem Sofa schlief, oder sich in den Heustadel verzogen hatte, schmeichelte uns ständig um die Beine und maunzte uns an, da die ungewohnte Unruhe in der Wohnung sie störte. Wer weiß, wo sie später umkam.
Am Morgen des 5. Juni erschienen zwei tschechische Gendarmen mit Lastwagen, auf denen die einzelnen Familien samt ihrem Gepäck verladen wurden. Alle Familienmitglieder "durften" auf ihren Truhen oder Kisten sitzen. So ging es in das Lager, das in einem Betriebsgebäude der Familie Steinbrener, in St. Anna, in der Winterberger Bahnhofstraße vorbereitet war.
(Heute ist dieses Gebäude ein elegantes Hotel mit dem Namen "Anna", da dem Eingang gegenüber ein großes Standbild der heiligen Mutter Anna steht, das ein Inhaber der Fa. Steinbrener einem in Wien tätigen Winterberger Künstler namens Igler abgekauft und damals im Giebel des Hauses hatte aufstellen lassen).
Während der Pfingstwoche mussten alle Vertriebenen im Lager bleiben. Ihr "Besitz" wurde noch einmal von den Tschechen gründlich durchsucht, und verringert, denn es hätte doch etwas dabei sein können, das ein tschechisches Herz hätte erfreuen können. Sogar eine kleine Puppe wollte ein tschechischer Gendarm einem Mädchen entreißen, aber das Kind hielt das Püppchen eisern fest, bis der Tscheche aufgab.
An den Pfingsttagen erschienen im Lager Bekannte aus Winterberg; sie brachten warmes Essen, da es im Lager nur dünnen schwarzen Kaffee gab. Nach Pfingsten wurden die Vertriebenen auf Lastwagen zum Bahnhof gebracht und in Viehwaggons verladen. Ein tschechischer Gendarm erschien mit einem Helfer in unserem Abteil und stapelte alle Truhen und Kisten so, dass die Sachen nicht durcheinander fallen konnten, was in anderen Viehwaggons immer wieder vorkam. Es war die kleine Geste eines tschechischen Mannes, dessen deutsche Schwiegereltern mit uns vertrieben wurden.
Am nächsten Tag fuhr der Zug in Richtung Furth i. W. ab. An der Grenze wurde von deutscher Seite für alle Zuginsassen eine Entlausung durchgeführt. Dann brachte uns der Zug weiter in die schwäbische Stadt Göppingen. Am Dreifaltigkeitssonntag durften wir "Kirta" in einem Sammellager einer deutschen Schule "feiern".
Manche der Vertriebenen wurden von Verwandten, die bereits in Westdeutschland sesshaft waren, abgeholt, aber die meisten mussten sich nun selbst um Wohnung, Arbeit usw. kümmern, was in dem damals zerstörten Deutschland nicht immer einfach war.
Wir wollten uns auf der Reise in den Bayerischen Wald während eines stundenlangen Aufenthalts in Ulm das Münster ansehen, konnten es aber vor lauter Trümmerbergen kaum finden, und konnten zwischen den gotischen Gewölben auch den blauen Himmel bewundern.
Wir waren sehr froh, von nun an in Bayern, in der Nähe unserer ehemaligen Heimat wohnen zu dürfen, wohin ab 1947 auch unsere damals noch in Gefangenschaft weilenden männlichen Angehörigen zu uns kamen.