Lager Furth i. Wald
Christa Anna Dvorak: „Aus Böhmen vertrieben – aus Sachsen geflohen- in Bayern heimisch geworden“, Andreas-Haller-Verlag, Passau 1997.
Christa kommt als Kind mit ihrer Familie in das Flüchtlingslager Furth i. Wald:
Was die Eltern bis zum Schuljahresbeginn nicht ändern oder verbessern konnten, war unsere beengte Unterbringung. Im Herbst 49 kamen noch zu viele Menschen an, die zumindest ein Bett brauchten. Wenn ich heute darüber nachdenke, weiß ich nicht, wie unsere Familie es schaffen konnte, mit diesem Leben zurechtzukommen. Aber es musste gehen, und irgendwie ging es auch. Wer dachte damals z.B. an eine psychologische Betreuung der geschändeten Frauen oder an eine entsprechende Verpflegung für unterernährte Kinder? Deutschland war „am Boden zerstört“, die einheimische Bevölkerung musste sich selbst erst wieder aufrappeln, da blieb für die dreizehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen nicht allzu viel übrig. Jeder musste selbst schauen, wie er am besten zu recht kam. Das bisschen Übergangsgeld, ein paar gespendete Kleidungsstücke und die Schulspeisung wurden dankbarst angenommen, waren aber nur ein Tropfen auf den berühmten „heißen Stein“.
Franz Leitermann
Erlebnisbericht des Rentamts-Inspektors Franz Leitermann aus Bistritz, Kreis Markt Eisenstein, der im November 1946 mit seiner Familie über Furth i. Wald nach Hessen kommt.
Ausweisung des Verfassers im November 1946 nach seiner Entlassung aus der Haft.
Quelle: Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (Hrsg.), Theodor Schieder: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- Mitteleuropa. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Band 2, Deutscher Taschenbuch Verlag 1957, Nachdruck 1984.
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Am 13. November 1946 wurde unser Transport zusammengestellt. Wir und einige andere Familien kamen mit unserem Gepäck in einen Viehwaggon. Der sehr lange Eisenbahnzug fuhr über Neuern-Janowitz nach Furth im Wald. wo wir zwecks Entlausung und Registrierung aussteigen mussten. Dort stieg meine Tochter Johanna zu, die bereits in Bayern war lind die Durchfahrt des Transportzuges erfahren hatte. Dann ging die Fahrt weiter über Nürnberg, Fürth, Würzburg, Gemünden nach Aschaffenburg. Dort wurden wieder einige Waggons abgekoppelt. Wir kamen über Darmstadt nach Bensheim-Auerbach in ein Lager.
Die Eisenbahnfahrt war sehr unangenehm, das Sitzen auf den Kisten unbequem, keine Beleuchtung, Beheizung mit einem in der Ecke des Waggons stehenden eisernen Öfchen, das immer wieder umzufallen drohte. Bei Erschütterungen fielen Gepäckstücke vom Stapel herab, Geschirr zerbrach. Notdurft konnte nur durch Aussteigen aus dem stehen bleibenden Zug (außerhalb der Stationen) mit Gefahr dessen Davonfahrens verrichtet werden. Für Familien mit Kleinkindern war diese Fahrt besonders beschwerlich. Die an der Bahnstrecke gelegenen Ruinenstädte und die zerbombten Bahnhöfe machten auf uns einen erschütternden Eindruck.
Wie das Einwaggonieren musste auch das Auswaggonieren des Aussiedlungsgutes von den Ausgesiedelten selbst besorgt werden. Da möglichst viel in die Kisten gestopft worden war, waren manche derselben schwer zu bewältigen.
Der Weg in die "Freiheit" war trotz der Freude, der Tyrannei entronnen zu sein, eine Enttäuschung, denn dem Schmerz über den Verlust der Heimat gesellten sich im zerbombten und hungernden Gastland neue Sorgen und große Not bei. Daheim wohnten die Familien und Sippen meistens im gleichen Orte oder in kleinem Umkreise, durch die Aussiedlung in einzelnen Transporten wurden sie auseinander gerissen und in alle deutschen Länder verteilt, was besonders alte Leute mit großer Wehmut erfüllte.
Helga Großmann-Smola: Fahrt ins Ungewisse
Quelle: Hans Harwalik – Fritz Pimmer (Hrsg.), Winterberg in Böhmerwald, Freyung 1995, S. 568 – 573.
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Am Joseftag, dem 19. März, einem herrlichen Frühlingstag, brachte man uns unter Gendarmeriebegleitung zum Bahnhof. Wieder in Viehwaggons, die völlig überfüllt waren, ging es auf die Reise ins Ungewisse. In Furth im Wald, endlich auf deutschem Boden, wurden uns Zettel in die Hand gedrückt, auf denen wir angeben konnten - es klang wie ein Hohn - wohin wir »zu gehen wünschten«. Zur Auswahl standen Hanau, Höchst und Rüdesheim. Wer von uns Winterbergern hatte bis dahin schon etwas von Hanau gehört? Vielleicht etwas von Höchst wegen seiner Industrie, sicher von Rüdesheim am Rhein, aber von Hanau? Schon in Prachatitz waren wir »entlaust« worden, ein Vorgang, der uns mehr amüsierte als kränkte, und den die, die ihn anordneten unter Umständen nötiger hatten als wir. Auch in Furth wurden wir wieder »entlaust« ...
Die Weiterfahrt von Furth wurde zu einer qualvollen, menschenunwürdigen Reise. Ab und zu wurde der Transportzug angehalten. Bestimmte Personen mussten aus den Wagen klettern und draußen antreten. Es wurde mit Fingern gezeigt, palavert, anscheinend suchte man Kriegsverbrecher. Die Betroffenen hatten Angst, aus unerforschlichen Gründen zurückgehalten zu werden und nicht mit den Angehörigen weiterfahren zu dürfen. Manchmal hielt der Zug, und alles musste aussteigen, damit wir entlang der Bahnlinie unsere aufgestaute Notdurft verrichten konnten. Jeder fürchtete, den richtigen, »seinen« Waggon nicht rechtzeitig wieder zu finden. Es kam auch vor, dass Männer während der Fahrt die Schiebetür etwas öffneten, um einer alten Frau, die sie an den Armen festhielten, die Erledigung ihres dringenden Geschäfts zu ermöglichen.
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Naubauer, Richard: Wo meine Wiege stand s’Lebuachert. Erinnerungen an das ehemalige Grenzdorf Ober- und Unterlichtbuchet mit Scheuereck im Böhmerwald, Verlag Dorfmeister, Tittling 2004.
Die bereits im Lager abgezählten und nummerierten Gruppen werden zu den gleich nummerierten Waggons geleitet, der auch ihr Gepäck enthält und müssen einsteigen, wonach die Tür des Viehwaggons bis zu einem kleinen Luftspalt geschlossen wird und ein Partisan mit gezogenem Karabiner Posten fasst. Ein Aussteigen ist nicht mehr gestattet. Erst als die Dunkelheit einbricht, kommt in den langen, vorn und hinten mit je einer Lokomotive bewehrten Zug Bewegung. Der vor jedem Zug stehende Soldat steigt ein und frühmorgens sind wir in Pilsen. Dort stehen wir einige Stunden, aussteigen darf man nicht, und über Taus sind wir Mittag an der Grenze in Furth im Wald. Auf bayerischem Boden verschwindet der Partisan. Alle müssen aussteigen, waschen, zu den Aborten. Zur Untersuchung zwecks Ungeziefer und Krankheiten werden alle mit Insektenpulver eingestaubt, aber nichts zum Essen, nur etwas Brot, Zucker und Mehl wird familienweise verteilt. Nur das deutsche Zugspersonal ist da, kurz, bündig, unfreundlich. So kommen wir nach Cham, wo ein Teil der letzten Waggons abgehängt werden und die Flüchtlingspassagiere in den dortigen Gemeinden verteilt werden. Wir fahren weiter und stehen einen Tag in Regensburg. Man weiß nicht, wohin mit uns. Fast in allen Gemeinden sind schon Flüchtlinge. Die Bürgermeister wehren sich gegen neue Flüchtlingsaufnahmen.