Späterer Besuch in Böhmen
Wir blickten in die alte Heimat
Quelle: Pfarrgemeinde Kuschwarda in Böhmerwald, Tittling 1996, S. 339.
Schon zu Anfang der Sechzigerjahre waren erste Besuche in den Böhmerwald möglich. Viele der Vertriebenen wollten die Stätten ihrer Heimat, des ehemaligen Lebensraumes sowie die Friedhöfe ihrer verstorbenen Angehörigen aufsuchen.
Die Einreise war nur mit einem Visum und über den Grenzübergang Freystadt/ Wullowitz möglich. Dabei mussten verschärfte Kontrollen und unpersönliche Anweisungen des tschechischen Grenzpersonals oftmals in Kauf genommen werden. Beim Ankommen in den Heimatorten - viele konnten nicht mehr gefunden werden waren bei den meisten Besuchern Tränen, Zorn und Verbitterung oft nicht zu umgehen.
Nachstehend einige Aufzeichnungen dieser Erlebnisse:
"Nach einer langen Fahrzeit über Eisenstein erreichten wir Kuschwarda und meine zwei Buben wollten etwas zu essen. Nur das Hotel Schwarzenberg war geöffnet, aber von Soldaten und Zigeunern überfüllt. Alle sprachen sie tschechisch und ich hatte große Angst, als Deutsche erkannt zu werden. Von unserem Haus waren nur mehr einige Grundmauern und die Johannisbeersträucher zu sehen. So gingen wir auf die Steinbergkapelle und ich war froh, zwei Frauen zu begegnen, die ebenfalls ihre Heimat aufgesucht hatten. Nach einem kräftigen Gewitter hellte sich der Himmel auf und ich glaubte beinahe, wieder daheim zu sein."
" Als wir den Schlagbaum hinter uns hatten, rieselte es uns kalt und heiß über den Buckel, denn es kam uns unglaubwürdig vor, in der alten Heimat zu sein. Wenn ich den Zustand des Landes auch genau beschriebe, es könnte sich ihn doch keiner richtig vorstellen: man muss das selbst gesehen haben."
"Wir fuhren nach Österreich, zur Grenze bei Freistadt und von da über die österreichisch-tschechische Grenze. Beim tschechischen Zollamt mussten wir 21/2 Stunden auf unser Visum warten. Es waren anfänglich nur etwa 6 bis 8 Autos an der Grenze, bis wir aber abgefertigt waren, konnte man die Autoschlange nicht mehr übersehen. Nun durften wir mit dem Auto den 1. Schlagbaum passieren, dann mussten wir wieder halten und wurden erneut kontrolliert. Nun erst durften wir zwei weitere Schlagbäume durchfahren."
"Wir machten mit unseren Kindern die erste Grenzbesichtigung ihres Lebens. Jetzt hatten sie, was sie bisher nur vom Erzählen her kannten, in ihrer ganzen Unbegreiflichkeit vor Augen - die "Grenze"; alle paar Meter weit die gleiche Tafel, den Schlagbaum, den Drahtzaun, den Wachturm mit MG-bewaffneten Posten, Grenzpolizei, Heimat und Feindesland zugleich. Keine versöhnliche Geste, kein freundliches Wort, nur Gefahr. Wir wandten uns ab vom Unabwendbaren."
"Ja, es ist schon schön, die alte Heimat wieder zusehen, aber wie es dort aussieht, das schneidet arg ins Herz. Ich muss sagen, gerne fuhren wir wieder über die Grenze zurück. "
Wagnerová, Alena: 1945 waren sie Kinder, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1990.
Mein Vater hatte mich gelegentlich auch zu den Heimattreffen der Sudetendeutschen mitgenommen. Ich fand sie ziemlich gräulich. Aber manche Familienmitglieder und auch Cousinen und Cousins in meinem Alter nahmen daran teil- und tun es teilweise auch heute noch. Ich fand es schlimm, dass dort in der Regel nichts anderes stattfand als das Jammern über erlittenes Unrecht, ohne jegliche Reflexion, ohne nach Gründen und Ursachen zu fragen. Es hat mich auch verstört, als meine Cousine mir schilderte, wie sie vor unserem Haus in Budweis gestanden und geweint habe und dabei so richtig zornig geworden sei. Ich sage damit natürlich nicht, dass ich die Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat für gut halte, und ich bedauere auch, dass uns das Haus nicht mehr gehört. Aber ich versuche mir klar zu machen, warum wir es verloren haben. Dass letztlich wir die Opfer und Betroffenen waren, ist eine Sache. Ich habe aber immer versucht, die Vertreibung im politischen Kontext zu sehen.