Schneedorf
Anni Guschlbauer
Bericht von Anni Guschlbauer - bei "Tobias" (verh. Costiuk) geb. 1934, die mit ihrer sozialdemokratischen Familie im Oktober 1946 als letzte Unterschneedorf verlassen musste
„Die Schneedörfer und Orte der Umgebung in Böhmerwald“, Augsburg 1988, S. 317 - 318.
1946 lebte ich mit meinen Eltern, meiner Großmutter und meiner jüngeren Schwester in Unterschneedorf oben auf dem Haus von Tobias, wo meine Mutter herstammt.
Mein Vater, von Beruf Glasbläser, war in der Sozialdemokratischen Partei und hatte sich geweigert, der NSDAP beizutreten. Deshalb blieben wir als einzige Familie in Unterschneedorf von der Vertreibung verschont.
ca. Juni 1946, als die letzten aus dem Ort vertrieben waren, kam zu uns der tschechische Kommissar und sagte, wir sollten ins Dorf zum Weachtei hinunterziehen, um die zurückgebliebenen Tiere zu versorgen. Es war eine gespenstische Situation: In einem nahezu menschenleeren Dorf liefen Hunde, Hühner, Enten, Gänse. . . frei herum. Die Stiere waren beim Draxler, die Pferde beim Oldrichter in Ställen untergebracht und mussten gefüttert werden. Alle Kühe, es mögen 50 bis 60 gewesen sein waren beim Weachtei, soweit Platz war, in Ställen usw. untergebracht, die anderen liefen im versperrbaren Innenhof umher. Den ganzen Tag verbrachten meine Eltern damit, die Kühe zu melken. Ich musste die Geißen melken. Die Milch wurde anfangs einfach weggeschüttet, nach ca. vierzehn Tagen wurde sei in unregelmäßigen Abständen abgeholt. Immer wieder kam der tschech. Kommissar und gab Anweisungen. Im Laufe der Zeit wurden die Kühe immer weniger. Offensichtlich mit Wissen des Kommissars wurden in der Nacht immer wieder einige Tiere abgeholt.
Die Häuser blieben, wie man sie verlassen hatte. Oft stand noch das Geschirr auf dem Tische, wenn die Bewohner plötzlich weggemusst hatten. Meiner Schwester und mir schärfte die Mutter immer wieder ein: "Nehmt nichts aus den Häusern, die Leute kommen zurück!" Auch die Tschechen vergriffen sich anfangs nicht an deutschem Eigentum. Noch im Oktober 1946 war von den Geräten und Maschinen aus den Gehöften nichts verschwunden. Nur bei uns oben, beim Tobias, wo noch ein Teil unseres Hausrates stand, wurde einmal eingebrochen. Die Diebe wurden aber gefasst, und wir konnten unsere Sachen in Prachatitz wieder abholen. Ende Juni/Anfang Juli 1946 brachten uns die Tschechen zwei bombengeschädigte deutsche Frauen, die uns für ca. zwei Monate bei der Arbeit helfen sollten. Eine davon, eine gewisse Frau Schmid, war die Frau eines Kapitäns wahrscheinlich aus Hamburg.
In Brenntenberg waren noch vier deutsche Familien zurückgeblieben. Uns am nächsten wohnte Familie Wiener, mit deren Tochter Rosa ich befreundet war. Nach Brenntenberg kam auch immer ein Lieferwagen mit Brot. Die übrigen Lebensmittel konnten wir gegen Lebensmittelmarken in Wallern beziehen. Im Übrigen lebten wir von Milch und von dem, was in den Hausgärten wuchs.
In den "Stuimeirl" hatten die Deutschen vor ihrer Vertreibung Wertgegenstände und Waffen vergraben. Die allermeisten dieser Verstecke wurden von den Tschechen schnell gefunden. Entweder sie hatten irgendwelche Suchgeräte oder sie erkannten aus der Lage der Steine, dass hier irgendetwas versteckt war. Immer wenn wir einen ölgetränkten Lappen neben einem Stuimeirlliegen sahen, wussten wir, dass hier wieder ein Versteck geplündert worden war. Obwohl wir Kinder auch auf die Suche gingen, konnten wir nie ein Versteck ausfindig machen. Mein Vater hat einmal ein Gewehr vergraben. Bereits zwei Tage später, als er nachschauen wollte, war das Versteck leer. Ich sehe auch noch vor mir, wie in der St. Magdalener Kirche die Kühe umeinander liefen und die losen Bodenretter standen empor. Offensichtlich hatte man auch hier unter den Brettern Verstecke angelegt, die aber bald entdeckt worden waren.
Bis Ende Oktober 1946 waren alle Tiere aus dem Dorf weg und Grabesstille kehrte ein. Der tschechische Kommissar kam wieder und sagte: "Eure Aufgabe hier ist erfüllt!" Wir bekamen in Eleonorenhain eine Wohnung zugewiesen und mein Vater arbeitete in der dortigen Glashütte in seinem Beruf als Glasbläser. Ab April/Mai 1947 mussten meine Schwester und ich in die dortige tschechische Schule gehen, wo wir aber nichts verstanden.
Ende Oktober 1947 kam die Polizei und sagte: "Morgen geht für euch ein Transport. Seid morgen früh mit allem, war ihr mitnehmen wollt am Bahnhof!" Wir erfuhren aber nicht, wohin die Reise gehen sollte. In einem Viehwaggon, mit noch einer Familie, kamen wir nach l/2tägiger Fahrt in Včelnicka (hinter Tábor) an. Dort musste mein Vater wieder als Glasmacher arbeiten. Meine über siebzigjährige Großmutter war in Oberschlag zurückgeblieben, um bei Verwandten zu helfen.
Jetzt setzte meine Mutter alles daran, um auch ausgesiedelt zu werden. Sie fuhr selbst nach Prag und erreichte schließlich unsere Ausreise. Wir konnten einen Eisenbahnwaggon mieten, in den alle unsere Habseligkeiten verladen und über die Grenze transportiert wurden. Wir selber holten die Großmutter ab und am 1. 10. 1948 gingen wir zu Fuß zur Grenze bei Philippsreut.