Unterlichtbuchet
Naubauer, Richard: Wo meine Wiege stand s’Lebuachert. Erinnerungen an das ehemalige Grenzdorf Ober- und Unterlichtbuchet mit Scheuereck im Böhmerwald, Verlag Dorfmeister, Tittling 2004.
Erinnerungen von Emil Spitzenberger
„Einsam, öde und verlassen scheint unser Dorf. Die Farmhäuser sind noch ganz bewohnt. Die Kesselhäuser um die Schule herum sind noch da, die Berghäusl sind leer und ab der alten Schule (Gaisbauer Adolf) bis Kuschwarda ist alles leer bis auf den Wanitschek. Nur knapp 20 Familien sind offiziell ausgesiedelt worden, die anderen sind heimlich über die Grenze geflüchtet. Ähnlich ist es in den Dörfern. Auch in Kuschwarda sind nur mehr wenige Deutsche. Kein Pfarrer ist auch nicht mehr da, ist geflüchtet und all sonntäglich ist eine deutsche Frühmesse, zu welcher ein Pfarrer aus Eleonorenhain kommt, denn selten sind die deutschen Pfarrer geworden. Zum zweiten Gottesdienst um 10 Uhr kommt ein tschechischer Priester, der deutsche geht heraus aus der Kirche, der tschechische hinein, reden tun sie kein Wort, ein Beispiel der katholischen Kirche, die von Nächstenliebe redet. Die Deutschen dürfen nicht in die tschechische Messe, nur zwei bis drei Schmeichler. Bei der Ausfertigung von Matrikenurkunden führt der Tscheche hohe Gebühren durch.
Wir arbeiten noch immer am Straßenbau. Die Tschechen sind zufrieden mit uns und zahlen uns pünktlich unsern Lohn. Noch immer wissen wir nicht, wann wir weg müssen und nun wird uns auch das klar, nachdem man uns die letzte Kuh nimmt.
Ein tschechischer Finanzbeamter brachte uns die Aussiedlungskarte, wonach wir am nächsten Morgen, den 29. Juni 6.00 Uhr früh zur Aussiedlung mit 50 kg Gepäck per Person fertig sein mussten. Noch schnell wurden von den Familien noch Hausratsgegenstände und Werkzeuge, die schon in Bereitschaft waren, über die Grenze gebracht. Alle Leute liefen mit Kleinigkeiten noch hinüber. Die Tschechen sahen es wohl, verfolgten uns aber nicht mehr. Gar schnell ging der letzte Tag zu Ende. Abends war ich noch mit einigen Nachbarn in der Nähe des Schulhauses. Die Tschechen kamen heraus, sagten, dass es ihnen leid tue, dass wir fort müssen. Eine Familie könnte vorläufig noch hier bleiben, um die sechs Kühe der Finanzer zu füttern. Wir gehen heim und legen uns zur Ruh, das letzte Mal in der Heimat.
[…]
29. Juni 1946. Schon um 4 Uhr früh waren wir munter. In der Stube standen die Kisten und Koffer mit unseren Kleidern. Elfriede ist noch gestern über die Grenze zum Emil, sie macht die Aussiedlung nicht mit.
Sechs Gendarmen kamen roh und ohne Gruß ins Zimmer, packten Koffer und Kisten, warfen sie auf den inzwischen vorgefahren Ochsenwagen und durchstöberten das Haus. Zum letzten Mal schaute ich mich in der Stube um, Tisch, Bänke, Stühle, Wäscheschrank, sah auf dem Herd, einige Töpfe, leere Bettstellen, denn das Bettzeug hatten wir eingepackt. An den Wänden hingen noch einige alte Heiligenbilder. Die Tschechen machten die Haustüre zu und wir gingen hinter dem Wagen her, der unsere Habseligkeiten barg. Ruhig, ohne Worte und Tränen gingen wir, auch schauten wir nicht zurück, unsere Feinde sollten sich an unserem Leide nicht freuen.
Auf die gleiche Weise ging es bei allen Familien und ein Wagen hinter dem andern fuhr durch Lichtbuchet, hinten ein Häuflein Menschen mit Gendarmeriebegleitung. In Kuschwarda standen Lastautos bereit, Kisten und Truhen wurden aufgeladen, einige Familien dazu, nebst zwei Gendarmen gings nach Winterberg, wo in der früher deutschen Bürgerschule das Lager war. Die Gendarmen erwarteten uns. Eine Kiste nach der anderen musste geöffnet werden und der Inhalt wurde durchgewühlt, die Kleidungsstücke abgetastet. Papiere kontrolliert und größere Geldbeträge sowie Schmuck abgenommen.
[…]
Unübersehbar war der Zug der Deutschen, der schweigend durch die Stadt zum Bahnhof marschierte. Männer, Frauen, Kinder und Greise, still und schweigend, wie ein ungeheuerlicher Leichenzug. Von beiden Seiten war der Zug von tschechischer Gendarmerie, Polizei und Partisanen begleitet, die mit gezogenen Waffen in allen möglichen deutschen Monturen wohl das Ehrengeleite gaben. Von den Balkonen und Fenstern der deutschen Stadt schauten die bereits angesiedelten Tschechenfrauen dem Menschenzug zu, erfreuten sie sich doch ihrer so leicht erworbenen Häuser, die die Deutschen verlassen mussten. Reibungslos und ruhig wickelte sich die Einwaggonierung ab. Die bereits im Lager abgezählten und nummerierten Gruppen werden zu den gleich nummerierten Waggons geleitet, der auch ihr Gepäck enthält und müssen einsteigen, wonach die Tür des Viehwaggons bis zu einem kleinen Luftspalt geschlossen wird und ein Partisan mit gezogenem Karabiner Posten fasst. Ein Aussteigen ist nicht mehr gestattet. Erst als die Dunkelheit einbricht, kommt in den langen, vorn und hinten mit je einer Lokomotive bewehrten Zug Bewegung. Der vor jedem Zug stehende Soldat steigt ein und frühmorgens sind wir in Pilsen. Dort stehen wir einige Stunden, aussteigen darf man nicht, und über Taus sind wir Mittag an der Grenze in Furth im Wald. Auf bayerischem Boden verschwindet der Partisan. Alle müssen aussteigen, waschen, zu den Aborten. Zur Untersuchung zwecks Ungeziefer und Krankheiten werden alle mit Insektenpulver eingestaubt, aber nichts zum Essen, nur etwas Brot, Zucker und Mehl wird familienweise verteilt. Nur das deutsche Zugspersonal ist da, kurz, bündig, unfreundlich. So kommen wir nach Cham, wo ein Teil der letzten Waggons abgehängt werden und die Flüchtlingspassagiere in den dortigen Gemeinden verteilt werden. Wir fahren weiter und stehen einen Tag in Regensburg. Man weiß nicht, wohin mit uns. Fast in allen Gemeinden sind schon Flüchtlinge. Die Bürgermeister wehren sich gegen neue Flüchtlingsaufnahmen.“