Wallern
Justine Haselsteiner
Justine Haselsteiner, geb. 1879, gest.1971, schrieb 1946 ihre Erlebnisse während der Vertreibung aus Wallern/Volary nach Höchst bei Frankfurt/Main auf
Quelle: Sudetendeutsches Archiv München
„Zu zweit wurden wir – etwa 600 an der Zahl – aufgestellt und unter 10 Mann tschechischer Gendarmeriebewachung vorbei an vielen Wallerern zu den Wagons geführt. Da vermissten wir den Rucksack mit dem ersparten Zucker, Mehl, Haferflocken und 2 Broten. So liefen Tochter Poldi und Hilde zurück zum Auto, doch es war schon alles im Haus untergebracht und abgesperrt. Der Wächter sagte ihnen: „Bei meiner Tschechen-Ehre morgen kommt alles nach in´s Lager“.
Vom Prachatizter Bahnhof bis zur Unterkunft mussten wir 650 der Heimat beraubte Menschen, zu zweit in der Kolonne marschieren. An der Polizei vorbei und vielen Zuschauern längs der Straße. Es war der 08. März 1946.
Wir wurden von zwei Frauen nach Geld und Schmuck durchsucht. Auch die Männer wurden von den Tschechen durchsucht. Ein höherer Beamter nahm meinem Mann 600 Kronen. 700 Reichsmark und 5 Sparbücher aus der Manteltasche und legte alles auf den Tisch. So hatten wir keinen Pfennig Geld.
Sie beschreibt die Situation im Sammellager Prachatitzt:
Während der 11 Tage im Lager gab es früh und abends schwarzen Kaffee mit Brot. Mittags täglich Kartoffelsuppe mit Brot. Einige hatten das Glück, dass Verwandte Gebäck brachten und ihnen durch den Stacheldraht zusteckten. Dies war aber nur möglich, wenn sie der Wächter mit der Hundepeitsche nicht sah und verjagte.
Die späteren Transporte der Wallerer kamen bis Oktober 1946 alle in die Gegend um Passau. Diesen Leuten ging es meist besser, da sie zu Bauern arbeiten gehen konnten und dafür auch zu essen bekamen.
Wegen des Lastenausgleichs hatte ich viele schlaflose Nächte und es kam was zu befürchten war, der Raub an unserem Eigentum wurde nicht annähernd gutgemacht. Nach Beschwerden an das Lastenausgleichsamt 1962, 1964 und 1966 bekam ich am 15. Juni 1966 den Rest des Ausgleichsbetrages vom Lastenausgleichsamt in Passau ausbezahlt.
Familie Damian Eppinger
Auguste Eppinger-Unterrainer: Erlebtes – Erlittenes. Ausweisung der Familie Damian Eppinger ("Mikschler"), In: Die Schneedörfer und Orte der Umgebung in Böhmerwald, Augsburg 1988, S. 316.
Nachdem in Oberschneedorf und Neuhäuser das Getreide abgeerntet und gedroschen war, haben wir die Karte mit der Aufforderung zur Ausweisung bekommen. Eine Woche hatten wir Zeit zum Packen. Am 6. September 1946 sind wir mit den Familien Pechmann ("Kasperl"), Jungbauer ("Großkopf"), Mickschl ("Mikschlschuaster"), Penterling ("Peterl") und einer weitere Familie von Tschechen, die als Kolchosenleiter hier eingesetzt waren, in das männliche Arbeitslager nach Wallern gebracht worden. Drei Familien sind noch in Neuhäuser geblieben. Im Lager hat unser Vater bald erfahren, dass die Amerikaner an der Grenze in Furth i. W. nur vollzählige Familien übernimmt, bei uns aber fehlte einer, der Bruder Robert; er war in Budweis im Internierungslager. Dies hat Vater in der Lagerleitung in Wallern gleich gemeldet und ersucht zu veranlassen, dass Robert zum nächsten Transport frei kommt, der für 13. September bestimmt war. Da die Zeit zu kurz war ersuchten wir bis zum nächsten Transport zurückgestellt zu werden. Der Transport ging ohne uns ab und schon am nächsten Tag wurden wir nach Husinetz gebracht. Wir alle, bis auf Mutter und die jüngste, erst sechsjährige Schwester, wurde in einer Hutfabrik zur Arbeit eingeteilt und mussten uns selbst versorgen. Nach gut zwei Wochen kam der Befehl, alle Deutschen müssen ins Lager zurück, es gehe der letzte Transport ab. Dort, in Wallern, wieder angekommen musste unsere Anna, die Krankenschwester war, die Krankenstation im Lager übernehmen. Es hat schrecklich trostlos ausgesehen, fast keine Medikamente. Zwei Wochen sind noch vergangen bis die deutschen Familien aus den Sprachinseln zusammengeholt waren. Unser Robert kam nicht. Vater gab das Nachfragen auf als wir hörten, dass die Leute in den Gefängnissen, bevor man sie zu den Angehörigen ins Aussiedlungslager entlässt, geschlagen und übel zugerichtet werden. So fügten wir uns, um nicht noch mehr zu schaden, in das Schicksal.
Am 10. Oktober sind wir zum Bahnhof in Wallern gebracht und in die Wagons "verladen" worden. Unsere Anna musste die Betreuung vom Transport übernehmen; in unserem Wagon hatten wir die kranken Leute. Nach endloser Fahrt, wie uns schien, sind wir an der Grenze Furth im Wald angekommen, wo wir bei einem längeren Aufenthalt auch Verpflegung bekamen. Die Amerikaner kontrollierten jeden Waggon. Abends ging der „Vertriebenen-Transportzug"
weiter und am 13. Oktober sind wir in Neumarkt in der Oberpfalz angekommen. Bei den dortigen Einwohnern hat zunächst eine große Ratlosigkeit geherrscht. Wohin mit so vielen Menschen? Nach langen Beratungen wurden die Kranken und Gehbehinderten in ein Altersheim gebracht. Lastwagen kamen und fuhren uns mit Sack und Pack auf die Burg Kastl, wo wir am Speicher gelandet sind. Als es am nächsten Morgen Licht wurde sahen wir, dass wir in einer armen Gegend sind und wir hier nicht bleiben können. Vater entschloss sich um den Zuzug in den Landkreis Passau anzusuchen. Dieser war gesperrt, aber Pfarrkirchen hat noch Familien aufgenommen und wir bekamen dorthin Zuzugserlaubnis. Wir mussten im "Rottaler Hof" nochmals ins Lager gehen und erst kurz vor Weihnachten ist uns eine Wohnung in Brandstat zugewiesen worden. Über drei Monate unterwegs, von dem vertrauten Daheim in die Fremde! - Dort haben uns die Leute schief angeschaut, aber wie sie gemerkt haben, dass wir arbeitswillige Leute sind, hat sich ihre kühle abweisende Haltung doch bald geändert.