Budweis
Wagnerová, Alena: „1945 waren sie Kinder“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1990.
Mein Vater hatte mich gelegentlich auch zu den Heimattreffen der Sudetendeutschen mitgenommen. Ich fand sie ziemlich gräulich. Aber manche Familienmitglieder und auch Cousinen und Cousins in meinem Alter nahmen daran teil- und tun es teilweise auch heute noch. Ich fand es schlimm, dass dort in der Regel nichts anderes stattfand als das Jammern über erlittenes Unrecht, ohne jegliche Reflexion, ohne nach Gründen und Ursachen zu fragen. Es hat mich auch verstört, als meine Cousine mir schilderte, wie sie vor unserem Haus in Budweis gestanden und geweint habe und dabei so richtig zornig geworden sei. Ich sage damit natürlich nicht, dass ich die Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat für gut halte, und ich bedauere auch, dass uns das Haus nicht mehr gehört. Aber ich versuche mir klar zu machen, warum wir es verloren haben. Dass letztlich wir die Opfer und Betroffenen waren, ist eine Sache. Ich habe aber immer versucht, die Vertreibung im politischen Kontext zu sehen.
Tagebuch der vierzehnjährigen Tschechin Jarmila Lukešová aus Budweis
Quelle: Jihočeské muzeum České Budejovice.
Dienstag 8.5.1945: wir standen am Radio, am Fenster, wo der wenig rumreiche Abzug der motorisierten Einheit der Deutschen Armee begann. Am Nachmittag sind da Panzerwagen und kleine Panzer. Die heutigen Deutschen stehen an der Straße und schauen auf die erschöpften deutschen Soldaten. Diese Deutschen sind nicht die Deutschen, die am 15. März 1939 an der Straße standen und „Sieg heil“ und ähnliches riefen. Damals kannten sie kein Wort Tschechisch und jetzt ist ihnen ihre tschechische Sprache bemerkenswerterweise zurückgekehrt.