Kuschwarda
Paulus, Franz: Chronik über die Besiedlung von Landstraßen, In: Pfarrgemeinde Kuschwarda im Böhmerwald, Tittling 1996, S. 184 - 207.
Vom 24. Juli 1945 an musste jeder Deutscher ein "N" auf der linken Brustseite tragen. (Spötter hatten dafür drei Erklärungen: Nazi, Nemec oder Narr). Dieses N musste man später auf gelbem Untergrund am linken Arm als Armbinde tragen. Kein Deutscher durfte auf der Eisenbahn oder mit dem Fahrrad fahren. Auf den Wagentüren waren Aufschriften angebracht mit dem Text: "Steig nicht ein, deutsches Schwein!"
Als Folgen dieses sinnlosen Krieges haben die Sudetendeutschen alles mit der völligen Enteignung und der anschließenden Vertreibung bezahlen müssen. Auch fanden sehr viele Verhaftungen von Deutschen statt.
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Die Lebensmittelkarten waren für Deutsche ohne Fleischkarten. Es durfte niemand ein Schwein schlachten oder füttern. Scheinbar hatte Gott die Deutschen und die übrige Welt verlassen.
Die Ernte wurde noch vollständig eingebracht, und sie war sehr ertragreich. Erdäpfel gab es reichlich, sie wurden aber schon auf den Feldern in Gruben versteckt, da die Redewendung kursierte, dass diese von den Tschechen alsbald beschlagnahmt würden. Das war aber nicht wahr, es musste nur Getreide, Vieh und Butter abgeliefert werden. Butter lieferten die Leute soviel wie noch nie, in der Annahme, nicht ausgesiedelt zu werden. Noch glaubte man an die bevorstehende Aussiedlung nicht ganz. Von tschechischer Seite sagte man noch nichts, wollte man vielleicht doch noch den Frühjahrsanbau abwarten, um daraus weitere Vorteile zu haben?
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Den ganzen Jänner ging ein starker Flüchtlingsstrom über die Grenze. Da die amerikanische Besatzung niemanden auf der Straße über die Grenze ließ, wurde alles von den Dorfburschen über die Grenze geschmuggelt. Sie verdienten viel Geld in Kronen und Reichsmark. Auch diejenigen, die hier wohnten, schmuggelten alles über die Grenze, was nicht zum täglichen Gebrauch nötig war, da bereits vorauszusehen war, dass alle Deutschen aus der Tschechei ausgesiedelt würden.
Diese Auswanderungsbewegung ging also auch im Februar weiter. Täglich kamen einige Fuhrwerke und Autos, größtenteils aus Wallern und Prachatitz. An der alten Schule wurden die Fahrzeuge von tschechischen Finanzern durchsucht und Schmuck und Gold abgenommen. Landstraßen war zu dieser Zeit ein riesiger Umschlagplatz, es kamen zunehmend Pferdefuhrwerke und Wagen von den Volksdeutschen aus Ungarn, die dann die Grenze passieren konnten. Auch Österreicher kamen täglich aus Nordböhmen mit Autos und ihrem beweglichen Hab und Gut. Diese konnten sofort die Grenze überschreiten. Später mussten sie über Krummau nach Österreich ausreisen.
Am 14. Februar kamen sechs Gendarmen und am 15. Februar 1946 eine Militärbesatzung. Auch wurde der Flüchtlingsstrom etwas langsamer. Zwei Familien aus Landstraßen flüchteten, und zwar Petrolina Traxler und Adolf Peterlik, letzterer ließ seine ganze Habe zurück. Karl Kerschbaum wurde als Verwalter eingesetzt.
März 1946: Gendarmen und Militär wurden abgezogen. Die Bewegungen an der Grenze gingen weiter und die Häuser in Bayern waren vollgestopft, so dass kaum mehr Platz war. Am 27. März ist Frau Schraml, Nr. 42, mit vier Kühen und der Mitterdorfer mit drei Kühen über die Grenze geflüchtet. Die Jung-Rinder ließen sie zurück. Diese wurden nach Kuschwarda abgeführt. Auch die Rosenauers sind geflüchtet und ließen ihr ganzes Vieh zurück. Kellermann Johann wurde als Verwalter eingesetzt.
Am 3. April 1946 besetzten 200 Gendarmen die Ortschaft und beschlagnahmten sämtliches Vieh, alle Maschinen, das Getreide und auch die Hühner. Es blieben nur noch 10 Kühe zurück. Am 21. und 22. April waren die traurigsten Ostern, die es jemals in Landstraßen gab. Am Ostermontag wurden die Leute aufgefordert, dass sie sich am 23. April 1946 um 8.00 Uhr beim Feuerwehrdepot mit 50 kg Gepäck einfinden sollen. Einige flohen noch in dieser Nacht über die Grenze, weil sie nicht ins Lager wollten. Ins Lager gingen nur mehr die Familien, deren Männer eingesperrt waren.
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Es sind zunächst 10 Holzhauer-Familien, und ich als Österreicher zurückgeblieben. Alle Häuser, wo niemand mehr da war, wurden ausgeraubt, Heu, Stroh, Erdäpfel und Holz, viele, unzählige Fuhren! Es sah alles schauerlich aus, alle Türen und Tore waren offen, teils zertrümmert, die Fenster waren eingeschlagen. So schrecklich endete Landstraßen. Es wird die Prophezeiung eintreten, dass die Brennesseln aus den Fenstern herauswachsen würden.
Nachdem die Aussiedlung vorüber war, ging es ruhiger zu. Die Holzhauer schmuggelten noch nach und nach etwas über die Grenze. Am 27. Juni 1946 wurden die Kühe von Landstraßen bis auf vier Stück weggetrieben.
28. Juni 1946: Großausweisung aus Kuschwarda.
9. Juli 1946: Aussiedlung der letzten Bewohner aus Landstraßen.
Von nun an war ich der einzige Einwohner von Landstraßen. Die Tschechen nannten mich den Einsiedler von Silnice und ließen mich in Ruhe. Ich hatte zwei Kühe und zwei Jungrinder. Die Gendarmen kamen täglich zu mir, um Milch zu holen, bezahlten aber gut. Ich ging dann öfter nach Kuschwarda, da waren auch noch Österreicher und deutsche Böhmerwäldler. Als ich das Vieh verkauft hatte, rüstete ich zur Auswanderung.
Am 22. September 1946 verabschiedete ich mich als letzter Einwohner von Landstraßen. So endete das Dorf an der Grenze.
Nussbaum, Irmina: Die Vertreibung, In: Pfarrgemeinde Kuschwarda im Böhmerwald, Tittling 1996, S. 331 – 332.
Am Abend des 3. Juni 1946 kam ein tschechischer Gendarm in unsere Wohnung und brachte eine doppelseitig bedruckte Karte, auf der außer dem tschechisierten Familiennamen (statt Hlinka - Hlinkova) alle Hinweise für die am 5. Juni vorgesehene Vertreibung gedruckt waren. Die gleiche Karte hatten am selben Tag viele Familien in Kuschwarda erhalten.
Das Gerücht über die bevorstehende Vertreibung hatte sich eilig im ganzen Ort verbreitet und nun erschienen Verwandte und Bekannte, um beim Packen der wenigen zur Mitnahme zugelassenen Habseligkeiten zu helfen. (50 kg für je 1 Person). Alles wurde in eine hölzerne Truhe aus Großmutters Besitz verpackt. Das Zusammensuchen des winzigen Anteils aus der ganzen Wohnung dauerte die ganze Nacht. Unsere kleine Katze, die sonst ruhig auf dem Sofa schlief, oder sich in den Heustadel verzogen hatte, schmeichelte uns ständig um die Beine und maunzte uns an, da die ungewohnte Unruhe in der Wohnung sie störte. Wer weiß, wo sie später umkam.
Am Morgen des 5. Juni erschienen zwei tschechische Gendarmen mit Lastwagen, auf denen die einzelnen Familien samt ihrem Gepäck verladen wurden. Alle Familienmitglieder "durften" auf ihren Truhen oder Kisten sitzen. So ging es in das Lager, das in einem Betriebsgebäude der Familie Steinbrener, in St. Anna, in der Winterberger Bahnhofstraße vorbereitet war.
(Heute ist dieses Gebäude ein elegantes Hotel mit dem Namen "Anna", da dem Eingang gegenüber ein großes Standbild der heiligen Mutter Anna steht, das ein Inhaber der Fa. Steinbrener einem in Wien tätigen Winterberger Künstler namens Igler abgekauft und damals im Giebel des Hauses hatte aufstellen lassen).
Während der Pfingstwoche mussten alle Vertriebenen im Lager bleiben. Ihr "Besitz" wurde noch einmal von den Tschechen gründlich durchsucht, und verringert, denn es hätte doch etwas dabei sein können, das ein tschechisches Herz hätte erfreuen können. Sogar eine kleine Puppe wollte ein tschechischer Gendarm einem Mädchen entreißen, aber das Kind hielt das Püppchen eisern fest, bis der Tscheche aufgab.
An den Pfingsttagen erschienen im Lager Bekannte aus Winterberg; sie brachten warmes Essen, da es im Lager nur dünnen schwarzen Kaffee gab. Nach Pfingsten wurden die Vertriebenen auf Lastwagen zum Bahnhof gebracht und in Viehwaggons verladen. Ein tschechischer Gendarm erschien mit einem Helfer in unserem Abteil und stapelte alle Truhen und Kisten so, dass die Sachen nicht durcheinander fallen konnten, was in anderen Viehwaggons immer wieder vorkam. Es war die kleine Geste eines tschechischen Mannes, dessen deutsche Schwiegereltern mit uns vertrieben wurden.
Am nächsten Tag fuhr der Zug in Richtung Furth i. W. ab. An der Grenze wurde von deutscher Seite für alle Zuginsassen eine Entlausung durchgeführt. Dann brachte uns der Zug weiter in die schwäbische Stadt Göppingen. Am Dreifaltigkeitssonntag durften wir "Kirta" in einem Sammellager einer deutschen Schule "feiern".
Manche der Vertriebenen wurden von Verwandten, die bereits in Westdeutschland sesshaft waren, abgeholt, aber die meisten mussten sich nun selbst um Wohnung, Arbeit usw. kümmern, was in dem damals zerstörten Deutschland nicht immer einfach war.
Wir wollten uns auf der Reise in den Bayerischen Wald während eines stundenlangen Aufenthalts in Ulm das Münster ansehen, konnten es aber vor lauter Trümmerbergen kaum finden, und konnten zwischen den gotischen Gewölben auch den blauen Himmel bewundern.
Wir waren sehr froh, von nun an in Bayern, in der Nähe unserer ehemaligen Heimat wohnen zu dürfen, wohin ab 1947 auch unsere damals noch in Gefangenschaft weilenden männlichen Angehörigen zu uns kamen.
Pfarrgemeinde Kuschwarda im Böhmerwald, Tittling 1996, S. 339.
Erster Besuch der Heimatstadt Kuschwarda nach der Vertreibung in den 60ern, verschiedene Erlebnisse
Wir blickten in die alte Heimat
Schon zu Anfang der Sechzigerjahre waren erste Besuche in den Böhmerwald möglich. Viele der Vertriebenen wollten die Stätten ihrer Heimat, des ehemaligen Lebensraumes sowie die Friedhöfe ihrer verstorbenen Angehörigen aufsuchen.
Die Einreise war nur mit einem Visum und über den Grenzübergang Freystadt/ Wullowitz möglich. Dabei mussten verschärfte Kontrollen und unpersönliche Anweisungen des tschechischen Grenzpersonals oftmals in Kauf genommen werden. Beim Ankommen in den Heimatorten - viele konnten nicht mehr gefunden werden waren bei den meisten Besuchern Tränen, Zorn und Verbitterung oft nicht zu umgehen.
Nachstehend einige Aufzeichnungen dieser Erlebnisse:
"Nach einer langen Fahrzeit über Eisenstein erreichten wir Kuschwarda und meine zwei Buben wollten etwas zu essen. Nur das Hotel Schwarzenberg war geöffnet, aber von Soldaten und Zigeunern überfüllt. Alle sprachen sie tschechisch und ich hatte große Angst, als Deutsche erkannt zu werden. Von unserem Haus waren nur mehr einige Grundmauern und die Johannisbeersträucher zu sehen. So gingen wir auf die Steinbergkapelle und ich war froh, zwei Frauen zu begegnen, die ebenfalls ihre Heimat aufgesucht hatten. Nach einem kräftigen Gewitter hellte sich der Himmel auf und ich glaubte beinahe, wieder daheim zu sein."
" Als wir den Schlagbaum hinter uns hatten, rieselte es uns kalt und heiß über den Buckel, denn es kam uns unglaubwürdig vor, in der alten Heimat zu sein. Wenn ich den Zustand des Landes auch genau beschriebe, es könnte sich ihn doch keiner richtig vorstellen: man muss das selbst gesehen haben."
"Wir fuhren nach Österreich, zur Grenze bei Freistadt und von da über die österreichisch-tschechische Grenze. Beim tschechischen Zollamt mussten wir 21/2 Stunden auf unser Visum warten. Es waren anfänglich nur etwa 6 bis 8 Autos an der Grenze, bis wir aber abgefertigt waren, konnte man die Autoschlange nicht mehr übersehen. Nun durften wir mit dem Auto den 1. Schlagbaum passieren, dann mussten wir wieder halten und wurden erneut kontrolliert. Nun erst durften wir zwei weitere Schlagbäume durchfahren."
"Wir machten mit unseren Kindern die erste Grenzbesichtigung ihres Lebens. Jetzt hatten sie, was sie bisher nur vom Erzählen her kannten, in ihrer ganzen Unbegreiflichkeit vor Augen - die "Grenze"; alle paar Meter weit die gleiche Tafel, den Schlagbaum, den Drahtzaun, den Wachturm mit MG-bewaffneten Posten, Grenzpolizei, Heimat und Feindesland zugleich. Keine versöhnliche Geste, kein freundliches Wort, nur Gefahr. Wir wandten uns ab vom Unabwendbaren."
"Ja, es ist schon schön, die alte Heimat wieder zusehen, aber wie es dort aussieht, das schneidet arg ins Herz. Ich muss sagen, gerne fuhren wir wieder über die Grenze zurück. "